Kapitel 19.3

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~SILCAN~

Wie rubinrotes Blut quoll das heiße Wachs unter dem ehernen Siegelring hervor, als Pferd und Lilie ihr stolzes Abbild im Rot hinterließen, umgeben von einem Geflecht aus alten Runen. Es war das Wappen von Silcans Familie, das sich da nun in der erkaltenden Masse verewigte. Vorsichtig strich Silcans Hand über die raue Oberfläche des Pergaments, ließ seine Finger über die feinen Linien, die die Lagepläne der Burg Tarranars beschrieben, gleiten, liebkoste die einstige Haut. Karten übten eine ganz eigene Faszination auf ihn auf und manchmal würde er einfach Stunden damit verbringen sie zu studieren und sich die Orte vorzustellen, die sie auf primitive Weise abzubilden versuchten. Mit einem Schmunzeln über seine eigene Verträumtheit, rollte er auch die letzte Karte zusammen und schob sie Elrik über den Tisch zu, der ihn zwischen den Gesprächen immer wieder beäugt hatte. Aber Silcan hatte seine Arbeit ordnungsgemäß erledigt und das ganze Dutzend Karten, die ebenso die verschiedenen Postierungspunkte der Soldaten und der Garde vermerkt hatte, überprüft. Aber Elrik hatte sich tatsächlich keinen einzigen Fehler erlaubt. Nur eines hatte Silcan Runzeln auf die Stirn gezeichnet: Abgesehen von der verstärkten Wache um die Gemächer ihres kranken Prinzen Charel, würden eine gewaltige Anzahl an Soldaten, darunter auch ein paar der Gardisten, in den schattendurchwobenen Gewölben unter der Burg postiert werden, ein Ort, der sowieso schon mehr als nur gut bewacht war. Dort unten befanden sich nicht nur die Kerkerzellen, sondern auch Käfige, in denen weitaus Schlimmeres schlummerte als ein paar Verbrecher und Landesfeinde. Ein einziges Mal war Silcan dort gewesen. Die Schreie hallten noch immer in seinem Kopf wider, wurden in Momenten der Angst von der einen Schädelwand zur anderen geworfen und ließen alles andere verstummen. Aber es waren keine menschlichen Schreie gewesen, aber die von Wesen, die man genauso gut quälen konnte. Die makabren Vorlieben des Fürsten von Tarranar waren kein Geheimnis und viele der hohen Gäste, die alle paar Monate in der Burg anzutreffen waren, zuckten beim Anblick eines Lusgurath oder einer Aeldara nur noch ein klein wenig zusammen. Silcan hatte sich längst an den Anblick dieser Wesen gewöhnt, aber sie alle wussten, wie der Fürst mit ihnen umging und dass es lediglich ein Zeitvertreib war, eine Möglichkeit der Zerstreuung in Zeiten wie diesen.

Wieder aus seiner Arbeit erwacht blickte Silcan auf und suchte den Blick seines Coirnals, der die Frage in seinen Augen bereits sah. Elrik sah ihn mit seinen eindringlichen und stechenden Augen, die keine Widerworte duldeten, an und sagte dann mit etwas gedämpfter Stimme: „Die Sicherheit unseres Thronerben hat höchste Priorität und die Gewölbe unter Tarranar bieten Flucht- und Eintrittsmöglichkeiten, von denen nur die Wenigsten wissen. Wir wissen um diese und gehen nicht das geringste Risiko ein, dass diese benutzt werden. Uns wurden keinerlei Informationen über diesen Heiler und seine Gefährten überverantwortet und wir müssen auf alles gefasst sein. Auch wenn unser Fürst seine besten Leute angesetzt hat, um jegliche Heiler dieses Landes ausfindig zu machen, können wir nicht ausschließen, dass dieses Unterfangen anderen zu Ohren gekommen ist, die uns feindlich gesinnt sind. In vier Tagen könnte jeder vor unseren Pforten stehen, auch jemand, der unserem Prinzen schaden will. Wir müssen mit allem und jedem rechnen, aber das müssen wir nun in Kauf nehmen, denn dieser Heiler ist wahrscheinlich die letzte Chance die unser Prinz noch hat, wenn er mit dem Leben davonkommen will."

„Ich verstehe, aber ich denke, dass doch gerade die besten Spione des Fürsten ein Auge dafür haben, wie jemand dem Reich gesinnt ist und ich bezweifele doch stark, dass ihnen ein Fehler verziehen würde."

Silcan sah den nachdenklichen Ausdruck in Elriks Augen, als er antwortete, und es schien, als hätten sich seine Gedanken auf eine weite Reise in friedlichere Zeiten begeben.

„Wir leben in Zeiten, in denen jeder seinen Kopf riskiert, wenn da nur die Hoffnung auf Rettung für unseren Prinzen besteht."

Charel war jung, eindeutig zu jung zum Sterben und das Königreich hatte keinen direkten Nachfolger außer ihm. Es war schon so oft Thema der Garde gewesen. Das Königreich konnte es sich nicht leisten schon wieder einen Nachfolger aus zweiter Reihe auf dem Thron zu haben, der das Reich dem Untergang weihte. Und außerdem war da noch diese winzige Sache, von der nicht einmal die ganze Garde erfahren durfte: Charel konnte sein Königreich beschützen und das nicht nur durch die Tugenden eines guten Königs. Charel hatte Kräfte, über die auch Silcan nicht die ganze Wahrheit wusste.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 10, 2019 ⏰

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Alestra - SchattennebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt