11 - Eine goldene Blume

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Es dauerte eine Weile, bis Ilona zu sich kam, und als sie es tat, wünschte sie sich zu sterben. Schlimmer konnte es nicht werden.

"Hoheit, ich wecke Euch nur ungern, aber es ist schon spät, und die königliche Familie rechnet mit Eurer Anwesenheit beim Mittagessen."

Bei dem Gedanken an feste Nahrung spürte Ilona Galle ihren Rachen hochsteigen. Mit einer Reibeisenstimme, die genausogut von einem Hundertjährigen stammen könnte, der sein Leben lang mit Vorliebe Hochprozentiges getrunken hatte, bat sie um einen Schluck Wasser. Ihre Kehle fühlte sich schrecklich ausgedörrt an und ihre Lippen ließen sich nur mit Mühe voneinander lösen. Langsam und mit mehr Kraftaufwand, als eine gesunde Sechzehnjährige normalerweise dafür aufwenden hätte müssen, stemmte sie sich von ihrer Matratze hoch und wartete, bis das Zimmer aufhörte sich zu drehen.

"Hier, Hoheit." Der verschwommene Fleck vor ihren Augen verwandelte sich nach ein paar Mal Blinzeln in ihre Zofe, die ihr ein Glas Wasser hinhielt und in Gedanken wohl bereits überlegte, wie sie die Komtess innerhalb einer halben Stunde gesellschaftsfähig machen konnte.

"Nie wieder Pflaumenwein", schwor Ilona leise, als sie an den vorangegangenen Abend dachte. "Oder Marillenlikör. Oder Apfelwein." Egal was, es war zweifellos zu viel gewesen.

Nur mit Mühe hielt sie sich aufrecht, als sie gewaschen und eingekleidet wurde, während eine zweite Zofe sich ihres Gesichts annahm. Deren verkniffener Miene nach zu urteilen war es harte Arbeit, Ilonas Gesicht von den Toten aufzuerwecken, doch als sie später pünktlich zum Essen im Speisesaal erschien, erntete sie keine missbilligenden Blicke. Ein unangenehmes Pochen hinter ihren Augenhöhlen ließ sie zwar von Zeit zu Zeit die Augen schließen und jeglichen Alkohol verfluchen, doch nicht einmal ihre Schwester schien davon Kenntnis zu nehmen, dass Ilona kaum etwas von dem gedünsteten Fisch hinunterbrachte.

Die gelegentlichen Gesprächsfetzen, die zwischen den Essensgästen ausgetauscht wurden, schwebten wie Nebel an ihr vorbei und sie war froh, als der Kronprinz und sein Vater sich noch vor dem Nachtisch empfahlen. Ihre kleine private Runde zu den Mahlzeiten war ohnehin drastisch geschrumpft, seit Cambriel und seine Verlobte wie vom Erdboden verschluckt worden waren; ein Umstand, der die ohnehin spannungsgeladene Atmosphäre in ein reines Minenfeld verwandelt hatte – vor allem, da Aelyseth mit ihnen verschwunden war. Die Verhandlungen mit dem Goldenen Reich standen unter keinem guten Stern, was wie eine schwere Decke über jeder Mahlzeit, jeder Zusammenkunft lag. Ilona zog es daher vor, so viel Zeit wie möglich mit den anderen Hofgästen zu verbringen, wo von der eisigen Stimmung kaum etwas zu spüren war.

"So kenne ich dich gar nicht."

Ilona richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihre Schwester, die sie fragend ansah. "Hm?"

"Ich sagte, du bist so still heute. Das ist untypisch für dich", merkte Viktoria an, während sie an ihrem Glas Wein nippte. "Und du hast auch kaum etwas gegessen."

Ilona sah auf ihren Teller hinab, wo sie den Zitronenkuchen von einer Seite auf die andere geschoben hatte, und machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ich hatte keinen Hunger." Essen würde sie frühestens am nächsten Tag wieder können, ohne sich zu übergeben.

"Was ist mit dir? Du siehst müde aus?" Was noch untertrieben war. Viktorias Augenringe konnten nicht einmal von Puder überdeckt werden, und sie sah matt und entkräftet aus.

"Ich bin gestern noch lange aufgeblieben und habe gelesen."

"Gelesen? Ich weiß, dass du kaum aus deinem Zimmer kommst, aber Bücher waren doch noch nie dein liebster Zeitvertreib." Mit gerunzelter Stirn musterte sie ihre Schwester, die jedoch den Blick abwandte und den letzten Bissen ihres Desserts verdrückte.

KupferkindWhere stories live. Discover now