12 - Die Weisheit der Sterne

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Rotes Haar schwamm auf der Oberfläche des Sees auf, den Raven nicht zu erreichen schien, gleich wie viel sie lief. Ein unsichtbarer Widerstand arbeitete gegen sie; und so konnte sie nicht verhindern, dass sich Silber und Rot in dem Gewässer mischten, bis die Farben nicht mehr zu trennen waren.

"Aufgestanden, ihr Schlafmützen!"

Die barsche Stimme war fremd in ihrem Traum und Raven brauchte eine Sekunde, um zu merken, dass sie nicht länger an dem See stand. Stattdessen blinzelte sie an eine grob gearbeitete Decke aus Holz. Ein warmer Arm war über ihre Seite drapiert und quetschte sie zwischen der Bretterwand und dem zugehörigen Körper ein. Cam.

Die leeren Flaschen, die Asta, Cam und Raven gestern Nacht geleert hatten, klirrten, als Lora mit ihrem Fuß dagegenstieß. "Kein Wunder, dass ihr alle noch in den Federn liegt. Und ich dachte, ihr würdet euch über die Gelegenheit freuen aus diesem Loch zu entkommen."

Von dem schlaffen Körper neben Raven kam nur ein missmutiger Laut, während von der anderen Seite des Raumes das Geräusch von Leinen und Leder auf Haut an ihre Ohren drang. Asta musste bereits dabei sein, sich anzukleiden. Raven zählte im Stillen bis zehn, bevor sie es wagte die Augen zu öffnen, und sich aufzusetzen. Dass sie dabei Cams Arm von sich werfen musste und er mit einem lauten Klatscher auf seiner Seite landete, hielt sie nicht auf. Erneut kam ein gedämpftes Grummeln von Cam, der sich nicht aus dem Bett bewegen wollte.

"Es ... ist früh ... zu früh ... glaube ich", brachte er nuschelnd hervor.

Statt seinen Einwand zu beachten, schlang Raven kurzerhand die Beine über seine Mitte und kletterte aus dem Bett. Lora beobachtete das Schauspiel mit schlecht verborgener Belustigung.

"Ist es sicher, an Deck zu kommen?", wollte Asta wissen, mit einem Fuß nach ihrem ledernen Stiefel fischend, und zog die Aufmerksamkeit der Schmugglerin damit auf sich.

"Wir sind nicht länger in der Bucht von Walestein, also sollte uns niemand behelligen, solange ihr den vorbeifahrenden Schiffen nicht nachschreit."

Asta sprach mit Lora über die Route, die ihr Schiff nehmen würde, während Raven sich wankend anzukleiden begann. In der beengten Umgebung waren ihre alten Kleider zu einer Plage geworden, derer sie sich schnell entledigt hatten. Weit und breit war keine Zofe, die sie davon abhalten konnten den steifen Damast-Rock über Bord zu werfen, um den Wind an ihrer Haut zu spüren. Die Bluse und das Überkleid aus Leinen, das an ihrer Hüfte von einem ledernen Gürtel zusammengehalten wurde, waren ein annehmbarer Ersatz; bei Hofe würden sie damit nicht willkommen sein, aber immerhin konnte man zwei Säbel und eine Flasche Rum an dem Gürtel festmachen.

Wie ein echter Pirat.

Raven schmunzelte bei dem Gedanken daran, wie sie die Geschichte ihrer Überfahrt für ihre Schwestern in Barassa ausschmücken könnte.

"Ihr wirkt, als hättet ihr euch bestens eingelebt in dieser Kammer. Vielleicht wollt ihr gar nicht mehr nach draußen", mutmaßte Lora, während ihr Blick auf dem nackten Rücken des Centure zum Liegen kam.

Cam rollte sich endlich auf seine andere Seite, sodass er den Raum im Auge hatte. "Ich würde sterben für etwas frische Luft."

"Salzige Luft kann ich dir anbieten." Lora warf ihm bei diesen Worten sein Hemd zu.

Der weiße Leinenstoff traf ihn mitten im Gesicht und er stöhnte. "Zwei Flaschen zu viel."

"Gestern meintest du bis zum bitteren Ende, du wärst vollkommen nüchtern", erinnerte Asta ihn amüsiert und tauschte einen vielsagenden Blick mit Raven aus.

"Vielleicht weckt es ihn auf, wenn ich euch von unserem anderen Gast erzähle."

Raven und Asta sahen neugierig zu Lora, die eine Hand an der Türklinke hatte. Selbst Cam hob den Kopf aus den Laken seiner Koje, wenn auch nur ein kleines bisschen.

KupferkindWhere stories live. Discover now