Ein Umschlag und andere Katastrophen - Kapitel 3.1

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Ein Umschlag und andere Katastrophen - 3.1


Ich spüre die Wärme auf meiner Haut und die Sonnenstrahlen durch meine Augenlider, obwohl meine Augen geschlossen sind. Es ist ein Moment zwischen Wachen und Träumen und ich lasse mich treiben in diesem sorglosen Augenblick.

Zeitlos.

Namenlos.

Unter der Bettdecke ist es kuschelig warm und ich stelle mir vor, wie die Frühlingssonne meine Fußsohlen kitzelt. Ein genüsslich fauler Zustand. Seit Langem keine schlechten Träume, die mir den Schlaf rauben. Kein Feuer, keine Schreie, keine Schatten.

Zufrieden drehe ich mich auf die andere Seite und döse weiter.

Von weit her höre ich gedämpftes Dröhnen. Irgendwelche Geräusche, die da nicht hingehören. Und ein Rabe krächzt. Krächzt immer lauter.

Ich stutze, blinzle, reibe mir die Müdigkeit aus den Augen, während ich konzentriert in die Stille hineinhorche. Moment mal, das ist kein Rabe, das ist -

»Shit!«

Schlagartig bin ich hellwach und meine flache Hand klatscht auf den krächzenden Radiowecker.

»Shit! Shit! Shit!«

Das darf doch nicht wahr sein, ich habe tatsächlich verpennt! So ein verdammter Mist! Erst letzte Woche kam ich zu spät in die Schule, weil Opa wieder einen seiner Anfälle hatte. (Wir nennen seine Verwirrtheit scherzhaft Aufmerksamkeits-Entzugs-Syndrom, aber eigentlich ist es alles andere als lustig. Er wäre viel eher reif für die Psychiatrie. Zumindest für's Altersheim, nach Ansicht meiner Eltern.)

Papa ist wahrscheinlich schon auf der Arbeit. Oder immer noch. Er arbeitet im Tierrettungsdienst, wo er sich um verletzte Tiere aller Artkümmert. Doch seit geraumer Zeit hat er sich auf die Rettung von Labortieren spezialisiert. Was da alles abgeht, ist echt mehr als grausig. Neulich haben sie sogar ein Labor auffliegen lassen, welches auf Tierversuche verzichtete, dafür die Tests direkt an menschlichen Versuchskaninchen durchführte. (Gut für die Tiere, aber es ist trotzdem mehr als abartig!) Und ständig muss er zum Noteinsatz, weswegen er kaum noch zu Hause ist.

Mama schläft anscheinend auch immer noch tief und fest, ansonsten hätte mich der morgendliche Kaffeeduft längst geweckt. Seit einer Weile arbeitet sie selbstständig als Yogalehrerin und da kommt es schon mal vor, dass sie morgens ausgiebig ausschlafen kann, weil noch keine Termine auf dem Plan stehen.

Ächzend schleppe ich meine übernächtigten Knochen aus dem Bett, stolpere ins Bad und erledige alles im Eiltempo.

Klo.

Duschen.

Anziehen.

Mitten im Zähneputzen fällt mir etwas ein.

»Mist!«

Es klingt viel eher nach Mischd und der ganze Zahnpastaschaum, der eben noch in meinem Mund war, verteilt sich jetzt großzügig über dem Spiegelschrank.

Ich wische mir notdürftig über den Mund und hechte ins Arbeitszimmer meiner Mutter. Ein Buch, ich brauche dringend ein Buch für den Literaturkurs von Perückenschaf – ähm, also eigentlich heißt unser Lehrer Herr Tunker. Aber seit ihm letztes Jahr ein kleiner Versprecher unterlaufen ist, bei dem er aus Perückenhaar dummerweise Perückenschaf machte, klebt der haarige Schaf-Name nun an ihm wie eine zweite Haut.

Letzte Chance, Zara!, meinte er schon vergangene Woche mit theatralisch erhobenem Zeigefinger und seine Augenbrauen zuckten dabei heftig. Alarmstufe explosivrot, nennt Chris das scherzhaft. Und leider hat er damit absolut Recht. Auch wenn Perückenschaf sehr witzig aussieht, wenn er mit seinem Wurstfinger herumwedelt und dabei die Brauenbüschel in seinem Gesicht hüpfen lässt. Aber ich kann mir echt nicht noch eine Verwarnung einhandeln, sonst riskiere ich einen mehr als schlechten Notendurchschnitt. Also durchforste ich in Windeseile die Buchtitel in Mamas Regal.

»Ein Klassiker«, erinnere ich mich. »Ich brauche einen vorsintflutlichen und ätzend langweiligen Klassiker.«


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Das ist der erste Teil aus Kapitel 3 und ich bin schon mächtig gespannt, wie euch dieses Kapitel gefallen wird.

Ich danke euch allen für euer reges Kommentieren und voten - freue mich riesig darüber und damit zaubert ihr mir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht.

❤️ Dankeschööön! ❤️

Stadt der Verborgenen (Die Phoenicrus-Trilogie 1)Where stories live. Discover now