#1.5 Gewinner*innengeschichte

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Hier könnt ihr mit etwas Verspätung die Geschichte lesen, die den 100-Follower-Special-Wettbewerb gewonnen hat! An dieser Stelle nochmal ein Shoutout an FantasyxBooks und danke für diese schöne Geschichte. 

Viel Spaß beim Lesen!


Immer dieser Zukunftsscheiß

Wenn irgendwann alles zu Ende ging, so sollte es hier sein. Das wusste ich, seit ich das erste Mal in diesem Zimmer gesessen hatte.

Seit jeher war dieses Wohnmobil unser eigenes, kleines Heim gewesen. Der von Wärme gefüllte Raum war unser Treffpunkt Nummer eins, zu jeder Angelegenheit. Ein von Kissen eingebetteter Sessel und davor ein alter Fernseher, dessen beste Zeiten vor zehn Jahren gewesen waren, standen in der hintersten Ecke des Raumes. Auf dem Teppich unter ihnen wanden sich rot- grüne Muster, Fotos von gemeinsamen Erlebnissen schmückten die Tapete.

Ein kleiner Kamin belegte die Mitte des Zimmers. Wir benutzen ihn an kalten Tagen fast immer, so auch heute.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Sofaecke lehnte eine Küchentheke an der Wand. Benutzte Teetassen und mit Krümeln bedeckte Teller stapelten sich im Waschbecken.
Ich kauerte im Schneidersitz auf einem Holzstuhl, vor mir auf dem Tisch erhellte- neben dem fahlen Schein der Deckenlampe- eine Kerze den Wagen. Spekulatius und Schokoladenkuchen wurden serviert, wie üblich zur Weihnachtszeit.

An einem Regal über dem Spülbecken hing eine Kette mit orangenen Kürbissen aus Plastik, die noch von Halloween übrig geblieben war. Bis heute wusste ich nicht, ob jemand sie absichtlich dort gelassen oder ob sich einfach keiner von uns je die Mühe gemacht hatte, sie zu entfernen. Aus ihren Mündern und Augenhöhlen strömte gelbes Licht, und so fügte die Dekoration sich auch zum dritten Advent perfekt in die gemütliche Atmosphäre des Raumes ein.

Ein Meer aus dichten, schweren Wolken verdeckte draußen vor den Fenstern den dunkelblauen Nachthimmel. Hauchzarte Flocken trudelten zu Boden und sammelten sich auf den vereisten Straßen, Wiesen und Hausdächern zu einer weißen Decke an. Trotzdessen, dass wir keine strahlenden Sterne zählen konnten, nutzten wir den Abend, um uns mit dampfenden Getränken und allerlei Gesprächsstoff im Wohnwagen zu versammeln- und ich ihn, um einen Teil meines wahren Ichs zu offenbaren.

Das Parkett unter mir knarrte, wenn ich mit dem Stuhl kippelte- so wie jetzt. Auf irgendeine Weise musste ich meine Anspannung immerhin verarbeiten. Ich umklammerte meine Teetasse so fest, dass meine Handknöchel weiß hervorstachen. Vielleicht mischte sich eine Spur Erleichterung in meine innere Aufregung, vielleicht war es lediglich pure Angst, die ich empfand. Ich konnte es nicht deuten.

Mein Blick streifte über die bunt gestrichenen Wände, über den schiefergrauen Holzboden, verfing sich in den kleinsten Details dieses Zimmers. Abwartend, mit rasendem Herzen, und das Schweigen fühlte sich an wie eine drückende Last auf meinen Schultern, meinem Purzelbäume schlagenden Magen, meinem ganzen Körper.

Ich fühlte mich fremd und allein zwischen meinen Freunden, zurückgelassen auf diesem Holzstuhl. Ein Gefühl, das ist zuvor nicht gekannt hatte.

Zum ersten Mal war es still in unserem Zuhause. Nur das Feuer im Kamin zischte und knackte.

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Mir gegenüber saß M.

Ihre kupferroten Locken hingen wie ein Vorhang über ihrer Tasse, aus der kaum sichtbarer Dampf empor stieg. Wenn er um ihre Züge wirbelte, hüllte er M.s ohnehin blasses Gesicht in einen geisterhaften Schleier. Anders als der Rest von uns war ihre Tasse gefüllt mit fruchtigem Kinderpunsch, und nicht mit Tee und vereinzelten Stücken Kandiszucker. M. mochte das nicht, und ich hatte mir fest vorgenommen, das niemals zu verstehen.

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