Flucht 2

4 0 0
                                    

ZORAIDA

Ich brauche einen Moment um Luft zu holen. Meine Lungen fühlen sich leer an. Mein Herz droht mir aus der Brust zu springen. "Kontrollinspektion? Die sind doch nur alle paar Monate und sie waren erst vor ein paar Wochen hier. Was soll das? Ist etwas pa-"

Ich bringe meine Gedanken nicht zu Ende, als ein Malum gefährlich nah an mir vorbei läuft. Seine Kapuze verdeckt sein halbes Gesicht, doch darunter weiß ich, sind Augen eisig blau und der Kopf kahl, wie alle Malums. Sein Umhang streift am Boden, verdeckt seine große Statur. Darunter fette Stiefel, dessen Sohlen keinen Laut von sich geben, damit sie sich anschleichen können und erst gesehen werden, wenn es zu spät ist. Es ist ein Wunder, dass er mich nicht gesehen hat. Die Straßen sind hell beleuchtet und einige Malums streifen umher mit Fackeln in der Hand. Ich sehe einen von Ihnen an einer Tür klopfen. So viele von Ihnen habe ich noch nie auf einem Haufen gesehen. Sie durchsuchen alle Häuser, nicht nur unseres oder vereinzelte, wie bei einer normalen Kontrollinspektion. Das heißt nur, dass ich unbedingt hier weg muss. Bald werden Sie bemerken, dass ich nicht im Haus bin und nach mir suchen. Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich genug Mut habe, aus meinem Versteck zu kriechen. Halb gebückt verstecke ich mich in den Schatten, vorbei an ein paar angeleinten Pferden in die kleine dunkle Seitengasse. "Zoraida!", höre ich die Schreie meiner Mutter. Sie schreit meinen Namen, doch ich wage es nicht, mich umzudrehen.

Stattdessen laufe ich hinaus, immer weiter weg von meinem alten zu Hause, meinem alten Leben. Ihre Schreie entfernen sich, doch bald werden sie nach mir suchen und so schnell ich auch bin, ich bin nicht schneller als ein Pferd. Die kleine Gasse ist dunkel und lang und am aller wichtigsten, nicht breit genug, damit ein Pferd hindurch galoppieren kann. Über mir leuchtet der Mond hell genug, um mich nicht völlig im Dunkeln zu lassen, während ich laufe.

Als ich wieder Licht vor mir erblicke, werde ich langsamer. Die Schatten sind die Einzigen, die mich retten können. Um diese Uhrzeit sind nur diejenigen unterwegs, die verbotenes tun oder Malum. Vor mir höre ich Leute reden und verstecke mich hinter einer großen Kiste. "Es ist eine schöne Nacht, um diese armseeligen, erbärmlichen Leute zu quälen, nicht? Wie viele heute wohl eine Hand verlieren?" - "Ich wette es sind mehr als letztes Mal. Da war die Ausbeute erbärmlich. Alle haben zu große Angst." Ich höre das Gelächter und  würde am liebsten kotzen. Wie kann man über so etwas lachen? 

Trauer macht sich wieder in mir breit. Ich verfluche mich selbst dafür, denn jetzt ist keine Zeit dafür. Als die zwei Männer der Malum weg sind, tragen meine Füße mich weiter. Mein Ziel ist der Wald. Dort ist es schwerer mich zu finden und vielleicht überlebe ich so die erste Nacht.

"Zoraida!" Diesmal ist es nicht meine Mutter, die schreit. Es ist die tiefe Stimme, die vor unserer Tür war. Eine Gänsehaut breitet sich über meinen ganzen Körper aus. Ich blicke automatisch hinter mich. Meine Augen geweitet. Doch ich sehe keinen. Er ist noch zu weit weg. Meine Angst hat mich so sehr geleitet, dass ich dachte er wäre direkt hinter mir, doch er ist mir auf den Fersen. Seine Stimme hallt durch die kleine Gasse. Ich höre die Hufen seines Pferdes und fluche innerlich. Er schreit nach mir, damit alle wissen, dass ich verschwunden bin. Er will alle auf mich hetzen. Ich muss zum Wald. Vor mir öffnet sich eine größere Straße. Auch hier sind mehrere dieser Männer in Uniform. 

Die Schreie nach mir sind kaum hörbar durch den Lärm der sich hier offenbart. Kinder schreien, als sie auf die Straße gezerrt werden. Ihre Augen aufgerissen vor Angst. Die Eltern dicht gefolgt, fallen zu ihren Füßen und versuchen ihre Kinder zu beruhigen. Ich kenne sie alle. Alice, Isra, Fido, Lunas, ... Ihre Namen schwirren mir durch den Kopf. Sie wurden mitten in der Nacht aufgescheucht und haben nur ihr Nachtzeug an. Laureen, eine Mutter, hat sich noch eine Wolldecke geschnappt und deckt damit ein paar Kinder zu. Einer der Männer greift nach seinem Schlagstock und schlägt auf Laureens Hand. Sie kämpft gegen einen Schrei an. Das sehe ich in ihrem schmerzverzerrten Gesicht. Der Mann über ihr zerrt die Decke weg. "Schwäche wird nicht toleriert", ist alles, was er sagt, bevor er sie erneut schlägt. Diesmal auf den Rücken. Sie will den Kindern keine Angst einjagen und bleibt noch immer tapfer, in dem sie keinen Mucks von sich gibt. Ein weiterer Schlag trifft ihren Rücken. Fester als der zuvor und sie kann nicht anders als kurz aufzuschreien. Sie krümmt sich nach unten, als würde sie sich ergeben. Das Lachen des Mannes kommt von Herzen und lässt mich schaudern, bevor er ein weiteres Mal zuschlägt.

Mein Kopf dreht sich von ihr weg. Ich kann das nicht mit ansehen. Schnell schleiche ich mich weiter voran. Sie sind abgelenkt und bemerken nicht, wie ich die Straße überquere. Sie sind zu sehr damit beschäftigt sich an den Qualen anderer zu amüsieren.

Als ich endlich weit genug weg bin, renne ich so schnell ich kann und achte nicht länger darauf, dass ich leise bin. Meine Schritte hallen in den Gassen wieder, doch die Geräusche der Pferdehufen und die Schreie übertönen mein Poltern. Sind das Freudensschreie der Malum? Ich habe keine Zeit darüber nachzudenken und renne weiter. 

Ich erblicke den Wald. Ich danke den Göttern, dass der Wald nicht weit weg von meinem zu Hause ist. Die Schreie verklingen als ich sicher im Wald ankomme. Im Wald fängt mein Herz langsam an sich zu beruhigen. "Ich habe es geschafft", erleichtert atme ich auf. Die erste Hürde ist geschafft. "Denkst du das etwa?" Ich drehe mich um. 

Doch keiner ist zu sehen. Ich drehe mich einmal um meine komplette Achse, sehe jedoch niemanden. Ich höre ein tiefes Lachen. "Kein Grund angst zu haben... zumindest nicht vor mir." Ich blicke zu meinem Dorf, wo ich den Schein von einigen Fackeln sehe. Einige Malums sind auf Pferden, andere laufen mit Fackeln in der Hand umher und suchen nach mir. Ich muss einmal kräftig schlucken, als einer von ihnen hinter die Kiste blickt, hinter der ich mich noch vor ein paar Minuten versteckt hatte. "Was willst du?", frage ich. Ich habe keine Zeit für solche Spielchen. Ich sollte rennen und überlege genau das zu tun.

"Du willst doch nicht schon gehen oder?" Die Stimme klingt unheimlich. Ich wage einen Schritt weiter in den Wald hinein, bevor ich los sprinte.

Somewhere between Hope and DeathWhere stories live. Discover now