Die Sünde

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Calix

Als ich aufstehe, ist die Sonne noch nicht aufgegangen. Das gibt mir genug Zeit ihre Spuren im Wald nach zu gehen und vielleicht kann ich eine Richtung ausfindig machen, in die sie gegangen ist. 

Schnell ziehe ich mir meine Stiefel und meinen Mantel über und schleiche aus dem Haus. Um diese Zeit schlafen alle und ein kleiner Nebel streift am Boden entlang. Ich schnappe mir eine Fackel, die von letzter Nacht noch etwas Wachs übrig hat und nehme sie mit in den Wald.

Als ich im Wald bin, zünde ich sie an und sie brennt direkt lichterloh. Feuer hat mich schon immer fasziniert, wie es lodert und die kleinen Funken vom Feuer wegspringen als wäre das Feuer selbst für sie zu heiß. 

Ich laufe zu dem Ort, an dem ich sie zuletzt gesehen habe und finde ziemlich schnell ihre Fußspuren. Nachdem sie mich gesehen hat, ist sie so schnell davon gerannt, dass ihre Fußabdrücke eindeutig zu erkennen sind. Ich verfolge ihre Spuren. Sie führen bis zu einem Baum.

Danach werden die Spuren weniger, es ist nur schwer zu erkennen, wohin sie gegangen ist. Ich bleibe vor dem Baum stehen. Um Baum herum sind viele Spuren. Sie muss dort hochgeklettert sein. Aber warum? Ich folge ihre Schritte für weitere zehn bis fünfzehn Minuten bevor ich es realisiere. Ab dem Baum scheinen ihre Schritte einem Ziel zu verfolgen, davor scheint sie keine bestimmte Richtung zu gehen. Davor hat man das Gefühl sie würde nur verwirrt umher irren.

Jetzt kommt es mir so vor, als wüsste sie genau, was sie tut. Sie muss sich oben im Baum oben orientiert haben. Ich packe meinen Kompass aus. Ihre Schritte führen in den Norden. Mehr muss ich nicht wissen, um ihre Verfolgung aufnehmen zu können. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, was genau in dieser Richtung liegt.

Eins muss man ihr lassen, sie muss diese Flucht schon länger geplant haben. Es war kein kindisches wegrennen und hoffen, dass es gut geht, sondern durchdacht. 

Auf dem Weg zurück verwische ich meine Spuren... und ihre. 

Visha hat mich im Wald entdeckt und wenn er herausfindet, dass du in den Wald geflüchtet bist, laufe ich Gefahr selbst mitten ins Kreuzfeuer zu geraten. Er würde mich ohne Zweifel verraten.

Wir kennen uns schon seit wir 14 sind, sind zusammen mehr oder weniger groß geworden. Wir haben uns gegenseitig unsere Wunden gereinigt, uns zusammen besoffen und sind teilweise aus der Akademie geflüchtet, nur um eine Nacht außerhalb der Mauer zu verbringen. Wir sind vereint, in gewisser Weise, ein Team. Wir haben uns gegenseitig geholfen, die Akademie bis jetzt zu überleben.

Wenn er herausfindet, dass ich dich habe gehen lassen, wird er nicht an all das denken, was zwischen uns war. Er wird daran denken, was mit Verrätern passiert. Er wird an den letzten Monat denken, als einer aus unseren Reihen gefunden wurde, der einen unserer Männer getötet hatte. Er wurde vor unser aller Augen im großen Hof geköpft. Davor wurde er gedemüdigt mit einer großen Rede, die dafür sorgen sollte, dass wir es nie wagen, ungehorsam zu sein. Die Worte der Anklage haben sich in mein Gehirn gebrannt:

"Wer es wagt einen unserer Leute zu töten, hat es nicht verdient zu leben. Dieser Verräter hat sich selbst getötet. Wer die Regeln bricht, stirbt. Jeder weiß das und keiner stellt sich über den Regeln. Dieser Mörder bezahlt für seine Sünde mit dem Tod." 

Gnade gibt es hier nicht.

Wieder am Waldrand angekommen, sehe ich, wie der Himmel heller wird. Ich mache die Fackel wieder aus. Die gefallene Asche wird nicht weiter auffallen. Ich laufe zurück ins Haus, in dem ich geschlafen habe und hole meine restlichen Sachen aus dem Zimmer. Das Paar von gestern abend hat es wohl bevorzugt, wo anders zu schlafen, denn im Haus sind sie nicht mehr. Ich schnappe mir etwas Proviant, bestehend aus einem Apfel und einem Laib Brot.

Draußen angekommen setze ich mich auf eine Bank und warte darauf, dass das Dorf erwacht, während ich vom Apfel abbeiße.

Die Stadt um mich herum kommt zum Leben, als sich die ersten Menschen aus ihren Betten trauen. Die Sonne ist gerade dabei aufzugehen und die ersten Männer machen sich auf dem Weg zur Arbeit. Sie versuchen uns zu ignorieren. Sie wollen vergessen, was gestern Nacht passiert ist und uns so schnell wie möglich loswerden. Ihre Körper sind steif und angespannt. Ich beobachte das Ganze. Keine Kinder spielen draußen und die Frauen verstecken sich in ihren Häusern. 

Die Angst, die dieses Dorf ausstrahlt, ist nicht zu übersehen. Sie werden erst aufatmen können, wenn wir weg sind. 

Ich sehe Visha und laufe auf ihn zu. "Und? Irgendwelche Neuigkeiten?", frage ich ihn, ohne ein Hauch von Emotion. Er schüttelt nur den Kopf. Er ist nicht gerade ein Morgenmensch und ich lege eine Hand auf seine Schulter. "Wir finden sie schon." Er entfernt meine Hand von seiner Schulter und ich muss mir ein Grinsen verkneifen. Seine schlechte Laune morgens ist das Einzige, was mich fast zum Lachen bringt. 

Ich habe so lange nicht mehr aus vollem Herzen gelacht, dass ich nicht weiß, ob ich es überhaupt noch kann.

Wir laufen gemeinsam ins Zelt, dass für unsere Besprechungen aufgebaut wurde. Es scheint so als wären wir eine der Letzten. Das Zelt ist bereits voll und alle stehen aufrecht da und schauen zur Mitte. In der Mitte des Zelts ist ein Tisch aufgestellt. Ganz vorne stehen unsere Anführer für diese Mission und blicken in die Menge. In den vordersten Reihen stehen die Ältesten unter uns. Sie sind im letzten Jahr der Akademie. Sie hassen es, hier zu sein. Für sie sind diese Missionen zu langweilig, zu einfach. Auf dem langen Weg von der Akademie nach Silentium haben sie bereits erzählt, dass es keinen langweiligeren Ort als Silentium gibt. Sie wären lieber zu jedem anderen Ort geschickt worden. Zumindest war das so, bevor Zoraida beschlossen hat, zu flüchten.

Hinter ihnen stehen wir und diejenigen, die eine Klasse über uns sind. Ein Krug schlägt auf den Tisch und alle um uns herum verstummen.

"Wie ihr alle mitbekommen habt, ist in der Nacht ein Mädchen geflüchtet. Sie heißt Zoraida, ist 17 Jahre alt und nächsten Monat sollte ihre Auswahl stattfinden. Berichten zu Folge soll sie nach Osten gerannt sein. Sie hat grüne Augen und langes braunes Haare. Dank ihres Bruders konnten wir herausfinden, dass sie kurz vor unserer Ankunft geflüchtet sein muss."

Das sind bereits mehr Informationen als letzte Nacht. Es haben in der Nacht wohl einige Verhöre stattgefunden.

In meinem Kopf spielt sich noch einmal die Szene von gestern ab. Ihr Gesicht hat sich in meinem Kopf eingebrannt.

Auf dem Tisch breitet der General seine Karte aus. Genau das brauche ich. Ich versuche mich nach vorne zu drücken und ein Blick auf die Karte zu werfen. Leider ist diese Idee aussichtlos. Zu viele Schüler versperren die Sicht.

Erst, wenn die ersten den Raum verlassen, werde ich einen Blick auf die Karte werfen können. "Wir sind hier", erklärt Leutnant Lyncis. Durch die Narbe, die an seiner Wange entlangläuft, ist er unschwer zu erkennen. Außerdem ist er einer unserer Lehrer. Er ist berüchtigt für seine ungewöhnlichen Lehrmethoden.

Seine Finger umkreisen den Punkt auf der Landkarte. "Das ist der Umkreis, in der wir unsere Suche starten. Zu Fuß kann sie nicht weiter gekommen sein."

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⏰ Last updated: Apr 29 ⏰

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Somewhere between Hope and DeathWhere stories live. Discover now