Die Nacht der Sterne

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ZORAIDA

Als ich das Gefühl habe, das ich weit genug weg von dieser gruseligen Stimme bin, schaue ich erstmal um mich und versuche herauszufinden, wo ich bin. Ich bin einfach los gerannt und habe nicht mehr darüber nachgedacht, wo ich eigentlich hinlaufe. In diesen Wäldern war ich schon öfter und nachts habe ich so einen Vorteil gegenüber den Biestern, die hinter mir her sind. Zwar ist es auch für mich schwer mich nachts zu orientieren, aber ich weiß etwa, wo die Straßen im Wald sind. Die sollte ich möglichst umgehen. Aber bis es Tags ist, muss ich so weit wie möglich kommen. Sie werden ihren Radius begrenzen und innerhalb dessen suchen, ich muss außerhalb des Radius sein, zumindest für den ersten Tag. Ich hätte mir ein Pferd stehlen sollen. Je größer der Radius, desto schwerer wird es sein mich zu finden. Aber zurück nach Silentium kann ich nicht mehr. Ich wäre innerhalb von Sekunden tot oder noch schlimmer, gefangen genommen. 

Jetzt muss ich mir jedoch erst einmal etwas mehr Orientierung schaffen. Ich klettere einen Baum hoch und bedanke mich innerlich dafür in der Miene gearbeitet zu haben. Meine Schultern sind breiter, meine Arme stärker und meine Beine geben mir den notwendigen Halt. Oben angekommen blicke ich zu den Sternen. Sie sehen so friedlich aus, ihnen kann niemand etwas antun. Ich erblicke den Nordstern. Genau in die Richtung will ich. Dort gibt es eine Stadt. Da sind so viele Menschen, dass ich unbemerkt bleibe und keiner sich an mich erinnern wird. Ich bin nur irgendein Mädchen... noch.

Von hier oben sehe ich mein zu Hause aufleuchten. Alles andere ist von der Dunkelheit der Nacht umgeben. Der Vollmond lächelt mich nahezu an und eine sanfte Brise fährt durch mein Haar. Dieser Moment ist fast schon friedlich und so ein großer Kontrast zu dem, was gerade passiert in meinem Dorf passiert. Der Adrenalin fließt noch immer durch meine Adern.

Als ich wieder den Boden unter den Füßen spüre, hole ich meine Flasche aus dem Rucksack heraus, um etwas zu trinken. Als ich erstmal anfange zu trinken, kann ich kaum aufhören. Das Adrenalin hat mich leer gesaugt. Da ich weiß, dass ich bei Tagesanbruch spätesten einen kleinen Fluss erreicht haben sollte, gebe ich dem Durst nach und trinke ein Drittel meiner Flasche leer.

Die Flüssigkeit kühlt mich ab und es tut gut, da ich das Gefühl habe, dass ich innerlich verbrenne. Ich weiß, dass das die Anspannung ist. So etwas waghalsiges und gleichzeitig dummes habe ich noch nie gemacht. Doch meine Reise ist noch nicht zu Ende und ich muss weiter.

Zwischendrin laufe ich ein paar Minuten, um schneller voran zu kommen, ohne mich vollends aus zu powern. Die Nacht ist lang und jedes Geräusch macht mich paranoid. Doch je weiter ich komme, desto weniger Geräusche höre ich von der Stadt und desto dichter wird der Wald um mich herum. Die Äste und das Gestrüpp verlangsamen mich und mein Bedürfnis zum Waldweg zu laufen ist groß. Ich hadere mit mir selbst. Auf den Straßen zu laufen ist ein Risiko, doch so komme ich schneller voran. Auf den Wegen können bei Nacht alle möglichen Gefahren lauern, ich darf es nicht riskieren. 

Meine Entscheidung steht fest. Ich darf mich dem Drang nicht hingeben einen leichteren Pfad zu wählen, nur weil dieser mir jetzt bequemer erscheint. Das Licht des Mondes scheint vereinzelt durch die Bäume hindurch, doch die Sicht ist furchtbar. Immer wieder streift ein Ast meine Schulter oder ich stolpere beinahe über Steine, die im Weg sind. Schon jetzt weiß ich, dass das keine besonders schöne Nacht wird.

Als ich die ersten Vögel zwitschern höre, atme ich auf. Bald wird die Sonne aufgehen. Dann wird meine Sicht besser sein und ich habe die Nacht ohne große Zwischenfälle überlebt. 

Meine Beine sind zwar so gut, wie taub, meine Arme an mehreren Stellen aufgekratzt und ich habe das Gefühl meine Schultern fallen jeden Moment ab, aber sonst geht es mir gut.

Auch Pferdehufen habe ich schon seit ein paar Stunden nicht mehr gehört. Ich denke sie haben irgendwann beschlossen die Suche zu beenden, zumindest für die restliche Nacht. Sobald die Sonne aufgeht, werden sie weiter nach mir suchen. Sie werden sich auf einen Radius festlegen.

Der Gedanke lässt meine Füße schneller werden. Vom vielen laufen, spüre ich meine Beine kaum noch. Ich weiß, dass ich bald eine Pause machen muss, aber nicht bevor ich Liberandum nicht erreicht habe. "Ich kann das schaffen und ich werde das schaffen", rede ich mir ein. 

Liberandum ist die Kunststadt schlechthin. Dort gibt es unendlich viele Gemälde, das Einzige, was noch an das Gefühl von Freude geblieben ist. Bücher, Gesang, große Veranstaltungen, Verbände, die dem Regime nicht passen, sind und werden verboten. Nur bei der Kunst machen sie eine Ausnahme, denn man soll den Menschen ja nicht alles nehmen, sagen sie. 

Als ich mich in meinen Gedanken vertiefe, werden meine Füße leichter. Meine Gedanken haben mir geholfen so lange durch zu halten. Sie lenken mich von allem um mich herum ab. 

Im Süden von Silentium liegt Patriam. Ein riesiges Gebirge. in das sich nur wenige trauen. Daher flüchten viele dorthin, doch ich weiß, dass sie mich einholen würden, bevor ich überhaupt dort ankomme und sie werden zuerst vermuten, dass ich den Weg dorthin auf mich nehme, wie andere geflüchtete vor mir, da es ein paar bis zum Gebirge schafften. Die meisten von ihnen kamen aber durch ihre Unwissenheit um. Dort oben muss man jagen können, der Kälte fliehen und den steilen Abhängen trotzen können. Es gibt niemanden dort, nur dich. Doch viele der Geflüchteten nehmen das in Kauf, wenn sie dadurch vor der Herrschaft sicher sind. 

Zu meinem Osten liegt irgendwo Mare, die Stadt am Meer. Das ist nur etwa drei Stunden Fußmarsch von meinem zu Hause entfernt und einmal im Jahre gingen meine Mom und mein Bruder... mein Bruder.

Abrupt bleibe ich stehen. Ich habe ihn im Stich gelassen. Ich bin einfach gegangen. Ohne ihn. Er hat das nicht verdient. Wer weiß, was die mit ihm anstellen. Er ist doch erst fünf. Cor. Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Meine Beine geben unter mir nach und ich falle auf die Knie.

Meine Schreie hallen durch den Wald, wo nur die Vögel mich hören können. 

Somewhere between Hope and DeathWhere stories live. Discover now