Neununddreißig

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Caleb P.OV

Kennt ihr das Gefühl, wenn euer Herz euch fast aus der Brust schlägt? Es euch schwer fällt zu atmen? Ihr euren eigenen Puls hören könnt? Eure Hände anfangen zu zittern während euch alles so viel langsamer vorkommt? So als würde der Moment eine Ewigkeit dauern? So als würde es nie zu Ende gehen?
Dieses Gefühl hatte ich Momente nachdem ich das Leben von Alfonso Gunzilius genommen hatte. Und dieses Gefühl hatte ich erneut, doch dieses Mal wollte ich nicht einfach abhauen und mich am liebsten übergeben. Ich wollte mich viel eher auf den Boden fallen lassen und in Tränen ausbrechen. Es war das gleiche Gefühl aber auch wieder nicht. Das erste Mal als ich so fühlte war, weil ich etwas schreckliches getan hatte, doch dieses Mal...
Zunächst hatte ich nur ihre Beine und ihre High Heels gesehen als sie aus dem Wagen ausstieg, doch das reichte mir, um zu wissen, dass es Grace war.
Sie war gekommen und ich betete zu Gott, dass ich nicht träumte.
Ihre Schritte hallten auf dem Asphalt als sie zu mir lief. Mein Magen verknotete sich und meine Beine wurden schwacher. Sie sah unglaublich schön aus und ich konnte meine Augen nicht von ihr nehmen. Ich hatte Angst davor meinen Blick von ihr abzuwenden, da sie jeden Moment verschwinden konnte.
20 Stunden Schlaf die Woche waren definitiv nicht genug, denn im Moment wusste ich nicht ob es eine Halluzination war oder nicht. Mein Mund wurde trocken. Ein unsicherer Ausdruck zierte ihr schönes Gesicht.
"Ich denke wir müssen vor der Braut an den Altar gelangen", sprach sie zwar sarkastisch, aber noch lange nicht so selbstbewusst wie zuvor.
Wie in Trance nickte ich und bot ihr meinen Arm an damit sie ihren einhacken konnte. Das Warme Gefühl, welches ich immer in ihrer Nähe hatte breitete sich in meinem ganzen Körper aus und ich dankte den Göttern, den griechischen, ägyptischen, denen aus Fantasy Büchern. Ich dankte dem ganzen Universum.

Ich nahm nichts wirklich wahr, dass einzige auf was ich fixiert war, war Grace. Am Altar angekommen stellte sie sich mir gegenüber auf die Seite der Mädchen. Ihre Körperwärme verließ mich und gleichzeitig die Aufregung, die ich immer spürte, wenn sie mich berührte. Ich konnte meine Augen nicht von ihr nehmen. Alles andere was passierte, wie Mel zum Altar schritt oder der Priester die Rede hielt, waren verschwommen. Meine Augen wanderten zu dem Hals meiner Fresa und ich atmete erleichtert aus als ich die Kette sah. Sie spürte meinen Blick auf ihr, weshalb sie ihre Augen unbehaglich auf den Boden richtete. Als sie erneut hochsah blickte sie mir aber direkt in meine. Unbewusst hielt ich für einen Moment den Atem an. Ich konnte nicht interpretieren, was in ihrem Kopf vor sich ging. Dass sie gekommen war konnte aber nur ein gutes Zeichen sein. Oder?
Plötzlich ertönte das Geklatsche der Gäste und ich schnappte aus dem tranceartigen Zustand. Die Zeremonie war zu Ende und ich konnte mir nicht helfen als ein schlechtes Gewissen sich in mir ausbreitete. Ich hatte mehr oder weniger das größte Highlight in Alecs Leben verpasst. Wow way to go Caleb...
Wenigstens gab es ja ein Video davon, welches ich mir reinziehen konnte, um nicht komplett wie ein Spast dazustehen, wenn jeder über die Hochzeit sprach.

Die Gäste in der Kirche klärten sich nach draußen zum Sektempfang und um ein paar Bilder zu machen. Grace sah ein letztes Mal zu mir ehe sie ebenfalls nach draußen lief. Meine Beine hingegen waren für kurze Zeit noch wie angewurzelt.
Sie war gekommen. Sie war hier. Ich hatte sie doch nicht für immer verloren.
Ich atmete erleichtert aus und begab mich schließlich auch nach draußen als ich wieder Kontrolle über meine Beine hatte. Sofort scannte ich die Menge nach Erdbeer-blonden Haaren. Sie stand bei Alec und Mel und umarmte beide mit einem Lächeln im Gesicht. Bevor ich jedoch zu ihr laufen konnte, kündigte Mel ein Bild an.
"Fuck", murmelte ich genervt als sich alle auf die Kirchenstufen stellten.
Fuck, fuck, fuck.
Ich drängte mich durch die Gäste, die mir irgendwie jedes Mal im Weg standen.
Fuck wieso waren überhaupt so viele Leute gekommen?! Ich musste unbedingt zu ihr.
Grace sah kurz verwirrt auf ihre Seite, wo ich nun außer Puste stand. Beziehungsweise ich ließ es mir nicht anmerken, dass ich außer Puste war, ich mein das würde nicht so cool rüberkommen.
Ihre Lippen zogen sich leicht nach oben.
Ja gut, sie hatte es wohl dennoch bemerkt...
Ich konnte sehen wie sie versuchte wieder ernst zu schauen und ihr Amüsement zu verbergen, was ihr nicht so gut gelang.
Sie wandte ihren Kopf in die Richtung der Kamera während meine ganze Konzentration noch voll und ganz ihren Lippen galt. Ich konnte nicht beschreiben wie sehr ich sie vermisst hatte.

Nicht mal nach den Bildern hatten wir die Möglichkeit zu reden, denn sie wurde von Kelsey weggezogen. Und egal wie sehr ich Kelsey auch liebte, in dem Moment stellte ich mir unzählige Methoden vor wie ich sie foltern konnte.
Gott...ich brauchte mehr Schlaf...

In getrennten Autos fuhren wir zur Location wo wir den restlichen Tag verbringen würden. Die Fahrt dauerte vielleicht mal zehn Minuten, aber ich hatte das Gefühl sie würde niemals enden. Kaum hielt der Wagen an, stürmte ich raus. Es waren bereits die meisten hier und es erschwerte mir die Suche nach ihr. Mission Impossible war im Gegensatz zu dieser Situation ein Kinderspiel.
Ich eilte wie ein verrückter durch die Mengen und drehte mich wahrscheinlich 15 Mal im Kreis, doch es war keine Spur von ihr. Angst und Paranoia mir das alles eingebildet zu haben kamen in mir auf sowie der lähmende Schmerz den ich seit Wochen gespürt hatte. Ich dachte ich würde den Verstand verlieren. Schlafmangel und das betäubende Gefühl von Hunger halfen nicht gerade dabei. Ich packte mir an den Kopf. Shit...Lorena hatte reicht gehabt. Alkohol war keine keine gute Diät. Meine Schläfen fingen fürchterlich an zu pochen und ich musste mich unbedingt hinsetzen.
"Können wir reden?"
Ich schloss kurz meine Augen und nahm ihre Stimme auf. Als ich sie öffnete stand Grace vor mir und die Angst als auch der Schmerz schwindeten langsam.
"Ja, bitte", antwortete ich kurz mit einem Nicken.
Meine eigene Stimme klang mir fremd. Sie hörte sich verzweifelt an und ich hoffte, dass sie es nicht mitbekommen hatte.
Ohne groß darüber nachzudenken nahm ich ihre Hand in meine und führte sie an einen etwas abgelegenen Ort. Ihr Blick wanderte auf unsere Hände. Ein undefinierbarer Ausdruck spiegelte sich in ihrem Gesicht, welches mich geradezu verrückt machte. Ich hasste es, wenn ich nicht wusste wie Menschen sich fühlten oder zu etwas standen.
Sie zog ihre Hand weg und verschränkte ihre Arme unbehaglich vor der Brust.
Mein Kopf schien wie leergefegt zu sein. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte und mein Kopf fing wieder an zu pochen.
Grace atmete tief aus bevor sie mir in die Augen sah.
"Wie gehts dir?", fing sie an.
Beschissen und großartig und ein paar Emotionen dazwischen.
"Weiß ich nicht, wie gehts dir", kam es aus meinen Lippen, weshalb sie mich erst kurz perplex und dann verstehend anblickte.
Sie nickte.
"Ähnlich."
"Wie geht's den Kindern?", fragte sie weiter, weshalb ich sie diesmal perplex anblickte.
"Was?", gab ich verwirrt und amüsiert zugleich von mir.
"Keine Ahnung, es hat sich richtig angefühlt das zu fragen so als wären wir Liebende gewesen, die sich aus verschiedenen Gründen trennen mussten und sich nun nach Jahren wieder sehen und beide mit anderen Leuten verheiratet sind und Kinder haben", erklärte sie kopfschüttelnd als sie realisierte was sie da sagte.
Ich hingegen konnte nicht anders als aufzulachen.
"Ich habe dich vermisst", kam es aus meinem Mund bevor ich darüber nachdenken konnte.
Sie nickte nur.
"Wow ramm mir doch gleich ein Messer ins Herz", scherzte ich, was nicht wirklich ein Scherz war.
Diesmal zuckten ihre Mundwinkel minimal nach oben.
"Ich habe dich auch vermisst", antwortete sie schließlich.
Jackpot! Sie hatte mich auch vermisst!
Ich hätte in dem Moment einen Freudentanz aufführen können stattdessen wahrte ich meine coole Reputation.
"Natürlich hast du das."
Sofort änderte sich ihr Gesichtsausdruck zu genervt und sie sah mich mit einem 'Dein Ernst?'-Blick an.
Ich konnte nicht anders als zu grinsen.
Ich hätte nicht beschreiben können wie sehr ich das vermisst hatte, auch wenn ich es wollte.
Sie seufzte auf und schüttelte ihren Kopf.
"Caleb ich bin nicht hier, weil ich dir sagen will, dass alles wieder beim Alten ist und wir einfach da weitermachen können wo wir aufgehört haben", sprach sie nun ernst.
Mein Herz blieb kurz stehen als ich angespannt zuhörte, was sie zu sagen hatte.
"Ich habe viel nachgedacht. Über dich, deine Vergangenheit, über uns und ich kann beim besten Willen nicht vergessen was du mir erzählt hast. Aber ich kann versuchen dir noch einmal zuzuhören wie es genau von Statten gegangen ist und wir schauen was sich noch so entwickelt. Vielleicht wird ja alles wieder und vielleicht auch nicht. Dennoch will ich es nochmal versuchen. Als Bekannte oder Freunde für den Anfang."
Das reichte.
Gott, es reichte! Alles war besser als sie gar nicht in meinem Leben zu haben.
"Freunde", bestätigte ich mit dem Wissen alles dafür zu tun sie wieder für mich zu gewinnen.

Arrogance. | ✔Where stories live. Discover now