Kapitel 1

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♤NATH♤ 

 Wütend starrte ich in die dunkle Hausecke und presste meine Lippen aufeinander.
"Was soll die Scheiße?", knurrte ich und rief erneut die Schatten. Doch sie gehorchten nicht, wichen mir aus, fast als hätten sie Angst. Wie sehr ich es auch versuchte, sie entzogen sich meiner Kontrolle.
"Kleiner?", fragte Jack. "Was ist los?"
"Ich kann die Schatten nicht rufen.", antwortete ich. "Also können wir das Schattenreisen vergessen."
Ich drehte mich um und betrachtete unsere Umgebung, seit unserer Entdeckung in der Gasse war keine halbe Stunde vergangen, doch ich musste unsere Pläne schon wieder ändern.
"Nero", wandte ich mich an den Kater. "Such uns einen Wagen. Nicht zu auffällig, aber keine Klapperkiste."
Nero nickte knapp und rannte los, während ich meine Zigaretten hervorkramte.
Mein Ziel waren die Bahamas gewesen, Camael hätte uns bestimmt helfen können, aber er ging nicht ans Telefon.
Außerdem war dort... Emilia.
Wenn ich wieder mal die Welt retten musste, wollte ich Feuerlöckchen an meiner Seite wissen. Ich brauchte sie hierfür. Sie war mein Ruhepol, mein Anker, ohne den Gedanken an die rothaarige Cambion wäre ich in der Hölle vermutlich wahnsinnig geworden.
"Und du bist dir sicher, dass er da ist?", fragte ich Jack.
Der Dämon nickte.
"Die Bar war Marcus' Traum, er wollte daraus einen... sicheren Hafen für Magier machen. Das würde er nicht einfach aufgeben."
Nero hüpfte von einem Dach, direkt vor meine Füße. "Mercedes C-Klasse", schnurrte er.
"Der ist mit Sicherheit gut versichert. Außerdem hat er eine Sitzheizung."
Wir folgte dem Kater auf die Hauptstraße, bis zu dem silbernen Wagen, wobei ich mich aufmerksam umsah, doch die Straßen waren menschenleer.
Ein kleiner Blitz reichte und die Türen waren entriegelt. Wenigstens konnte ich noch normale Zauber wirken. Ich warf meinen Seesack in den Fußraum hinter dem Fahrersitz, stieg ein und ließ Nero auf den Beifahrersitz springen, während sich Jack wegen seiner Hörner auf der Rückbank breit machte.
"Wir brauchen etwa eine halbe Stunde bis zur Bar", meinte ich, startete den Motor und gab Gas.

Zwanzig Minuten später bog ich auf einen kleinen Parkplatz ein, stellte den Wagen unter einer Birke ab und schaltete den Motor aus.
Die Straßen waren verdammt leer gewesen, selbst wenn viele Menschen noch verkatert von den Halloween-Partys waren, so war es doch mehr als ungewöhnlich, dass ich auf dem Weg hierher gerade mal um die hundert Autos gesehen hatte, gerade in einer Metropole wie San Francisco.
Ich brauchte dringend ein paar Antworten.
"Bereit?", fragte ich und bekam ein Nicken als Antwort von meinen Freunden.
Wir stiegen aus, wobei Jack sich Axt und Seesack über die Schulter warf und Seite an Seite gingen wir auf das unscheinbare Gebäude zu.
Es war das erste Mal, dass ich die Bar von außen sah und ohne Jacks Navigation und die schwache, magische Aura hätte ich es wohl kaum alleine gefunden.
Man musste drei Stufen hinabsteigen, bis zu einer massiven Holztür mit stählernen Beschlägen, mit einer verschlossen Luke auf Augenhöhe, die aussah, als sei sie nachträglich eingebaut worden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Tür unverschlossen war, ging gegen Null.
Ich atmete tief durch, warf Nero und Jack einen letzten Blick zu und klopfte drei mal gegen das schwarz lackierte Holz, wobei mir winzige Runen auffielen, die in den Rahmen geritzt worden waren. Es vergingen ein paar Sekunden, dann wurde die kleine Luke geöffnet und ein blassgrünes Augenpaar starrte mich an.
"Passwort?", fragte eine schnarrende Stimme.
"Was?"
"Passwort? Mach schon, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit."
"Ich habe keine Ahnung von irgendeinem Passwort", entgegnete ich. "Ich suche Marcus."
"Wer fragt das?"
So langsam wurde es mir zu bunt und scheinbar ging es Jack genauso, denn er drängelte sich jetzt an mir vorbei, ließ die Illusion fallen, die seine wahre Gestalt verschleierte und tätschelte Lucinda.
"Entweder machst du jetzt die verschissene Tür auf, oder verpass dir 'ne zweite Arschritze auf der Stirn."
"Ein Dämon", zischte der Mann und ich hörte das Geräusch von etwa zehn Waffen, die entsichert wurden.
Von irgendwo hinten aus der Bar erklang eine tiefe, raue Stimme, die mir bekannt vorkam, aber es war nicht die von Marcus.
"Ich kenne nur einen Dämon, der so scheiße viel flucht. Mach die verdammte Tür auf, los."
Ein halbes Dutzend Riegel wurde zurück geschoben, dann schloss der Typ auf, öffnete die Tür und winkte uns rein.
Schnell traten wir durch die Tür, die sofort wieder verschlossen und verriegelt wurde.
"Nathaniel Black.", staunte Perry. "Heilige Scheiße, wir dachten, du seist in Orlando gestorben. Wie hast du das überlebt, du verrückter Drei-Käse-Hoch?!"
Ich lächelte ihn an und senkte den Kopf, um ihn besser ansehen zu können.
"Hey, Zwei-Käse-Hoch! Das ist eine lange, unschöne Geschichte. Aber deshalb bin ich nicht hier, ich suche Marcus. Wenn du hier bist, statt in Kuba, muss die Lage ernst sein."
Der Kampfmagier runzelte die Stirn.
"Nath, wo warst du das letzte Jahr? Oder zumindest in den letzten drei Monaten? Wir hätten dich verdammt gut gebrauchen können."
Ein ungutes Gefühl beschlich mich und nun sah ich mich in der Bar um. Die Tische waren an den Wänden aufgereiht, Waffen und Munition stapelten sich darauf, in einer Ecke lagen Schlafsäcke und Luftmatratzen. Das alles machte mehr den Eindruck einer Notunterkunft, als den einer Bar.
Abgesehen von Perry befanden sich elf weitere Personen in der Bar, fünf Frauen und sechs Männer, fast alle trugen Verbände, sie wirkten müde und abgekämpft.
"Was ist passiert?", fragte ich leise.
Perry deutete auf einen Tisch mit zwei Sitzbänken und nickte einem der Männer, einem Vampir mit flachsblondem Haar, zu, der eine Flasche und ein paar Gläser hinter der Bar hervorholte.
"Setzen wir uns", sagte der Kampfmagier. "Das ist eine komplizierte Geschichte."
Wir setzten uns und der Vampir schob jedem von uns ein Glas Vodka zu, selbst Nero. Perry kippte sein Glas runter, dann sah er uns ernst an.
"Nath, die Lage ist übel. Die Welt hat sich verändert. Alles, wofür wir vor einem Jahr gekämpft haben, alles, was wir geopfert haben... Es war umsonst. Vor knapp vier Monaten versiegelte jemand die Grenzen des Himmels und der Hölle. Als Leviathan damals die Tore öffnete, sind praktisch nur gefallene Götter auf die Erde gekommen. Und kaum waren die Grenzen dicht, ließen sie ihre Heerscharen los. Innerhalb einer Woche hatten sie alle Staatsoberhäupter hinrichten lassen, in der Woche darauf alle Armeen zerschlagen. Es war ein Massaker. Die Götter forderten ihre rechtmäßigen Plätze wieder ein, sie ließen Tempel errichten und sich verehren. Wer nicht gehorchte, der starb oder wurde versklavt. Nur die Ostküste ist halbwegs ruhig, die alten Götter der Indianer nehmen es nicht so genau mit der Anbetung, sie sind nur froh, der Hölle entkommen zu sein."
Ich trank mein Glas auf Ex, schnappte mir die Flasche und nahm einen tiefen Schluck.
"Fuck... ", sagte ich erschüttert. "Davon habe ich in... an dem Ort, an dem ich war, nichts mitbekommen. Was ist mit den Magiern, den Vampirclans? Was ist mit... meinen Freunden?"
Perrys Gesicht verdüsterte sich und in mir zog sich alles zusammen.
"Nicht alle wollten sich unterwerfen", fuhr der Magier zögernd fort. "Überall auf der Welt gab es Widerstandsbewegungen, alte Rivalitäten wurden beiseite gelegt, es ging ums nackte Überleben. Deine Freunde... sie kämpften hier in Amerika, gemeinsam mit uns. Und einige Zeit lang sah es so aus, als hätten wir eine Chance, doch wir bemerkten, dass unsere Feinde innerhalb weniger Tage wiederauferstanden. Und dann schickten die Götter ihre grausamsten Jäger. Gottheiten, die in der Hölle fast den Verstand verloren hatten. Sie trieben uns immer weiter gen Osten, bis es hier, in San Francisco, zu einer Schlacht kam. Ich erspare dir die Details, aber es war hässlich, wir hatten ihnen kaum etwas entgegenzusetzen."
Diesmal musste ich mich zusammenreißen, um überhaupt etwas sagen zu können.
"Und... Emilia?"
Perry sah in sein leeres Glas und vermied den Augenkontakt mit mir.
"Emilia führte uns an. Sie war... kalt geworden nach deinem 'Tod' und all ihre Wut richtete sie gegen die Armeen der Götter. Sie brachte ihnen große Verluste, sie erfüllte uns mit Hoffnung. Doch dann griffen uns Ares und seine Krieger an, sie metzelten unsere Truppen nieder, zwangen uns immer wieder zur Flucht, bis wir in San Francisco waren. Das war vor zwei Wochen. Aber es war eine List. Ares hatte Unterstützung von einem der mächtigsten Götter Ägyptens, Horus. Sie zermalmten uns, unsere stärksten Kämpfer starben in dieser Schlacht. Marcus, Leonie, Taio und viele andere. Und Emilia... Sie nahm den Kampf auf, befahl uns zu fliehen und kämpfte gegen Ares und Horus gleichzeitig. Aber du musst wissen, dass Ares und Horus Götter des Krieges sind und Feuer kontrollieren. Und mit jedem Kämpfer, den wir verloren, wurden die Streitkräfte der Götter stärker. Emilia verschaffte uns genug Zeit zum Fliehen, wir versteckten uns im Untergrund und warteten, aber sie selbst... ich..."
Der Magier stockte und blickte mich an, eine tiefe Trauer lag in seinen Augen.
"Es tut mir Leid, Kleiner."
Meine Stimme versagte und ich spürte Holz splittern, als sich meine Finger in die Tischplatte gruben. Perrys Stimme schien unglaublich weit weg zu sein und gleichzeitig direkt an meinem Ohr.
"Es tut mir leid, Nath. Emilia ist tot."

GötterdämmerungWhere stories live. Discover now