Kapitel 5

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♤NATH♤

Asche fiel von meiner halb abgebrannten Zigarette in meinen Schoß, als ich den Motor des silbernen Mercedes anließ.
Rasch warf ich einen Blick über meine Schulter auf den Eingang der Bar.
Die Tür war verschlossen, niemand war zu sehen.
Gut.
Plötzlich klopfte jemand auf die Motorhaube und ich schreckte zusammen, wobei ich den Wagen abwürgte und meine Hand instinktiv Betsys Griff in dem Oberschenkelhalfter packte.
"Nath, du mieser Arsch!", knurrte Jack und riss im nächsten Moment schon die Fahrertür auf.
"Was sollte das?!"
Die Miene des Dämons war finster, als ich langsam ausstieg und meine Kippe wegschnippte.
"Solange ihr bei mir seid, seid ihr in Gefahr", erwiderte ich so ruhig es ging, auch wenn meine Gefühle das reinste Chaos waren.
"Ich werde die Götter stürzen, aber das muss ich alleine tun."
"Einen Scheiß musst du", erklang Neros Stimme, der irgendwie an mir vorbeigehuscht und auf den Beifahrersitz gesprungen war.
"Wir bleiben bei dir, Kleiner."
Ich suchte die passenden Worte, wollte sie irgendwie davon abbringen.
Hier bei Perry wären sie sicherer als bei mir, hier war ihre Chance zu überleben größer.
"Das ist zu gefährlich, ich werde mich in einen Krieg einmischen. Ihr könntet sterben...", setzte ich an, wurde aber von einem lauten Lachen aus Jacks Kehle unterbochen. Der Dämon schaute mich an und tätschelte dabei Lucinda.
"Nath, ich bin schon lange tot, seit mehr als eintausenddreihundert Jahren. Seit meinem zwölften Lebensjahr kämpfte ich in einem verdammten Krieg nach dem anderen, bis ich schließlich fiel. Und dann kam ich in die Hölle, wurde vollends ein Geschöpf des Krieges. Du warst selber in der Hölle, Kleiner. Du weißt wie es dort zugeht. Egal was uns erwartet, ich bleibe an deiner Seite. Wir haben einander oft genug den Arsch gerettet, seien wir ehrlich, ohne mich wärst du aufgeschmissen."
Der Dämon grinste schelmisch und ich zögerte einen Moment, ehe ich Jacks Unterarm packte, den er mir entgegenstreckte.
"Also gut, du gehörnter Sturkopf", erwiderte ich ebenfalls grinsend, dann drehte ich mich zu Nero um.
"Was ist mit dir, Fellknäuel?"
Der Kater versuchte mit den Schultern zu zucken und sagte: "Wir haben schon so viel Scheiße erlebt und wann hat man schon mal die Gelegenheit zwei Apokalypsen zu überleben? Also los, die Sonne geht in wenigen Stunden auf und bis L.A. sind es fast vierhundert Meilen."
Jack setzte sich auf die Rückbank, öffnete die Fenster und begann seine Pfeife zu stopfen, während ich wieder auf den Fahrersitz glitt und die schwarze Sonnenbrille aufsetzte, die ich im Handschuhfach gefunden hatte.
"Wehe du machst Countrymusik an", meinte Jack und grün-blauer Rauch umhüllte bereits seinen Kopf.
Ich zog eine unbeschriftete CD aus dem Handschuhfach, schob sie ins Laufwerk, drückte auf Play und kurz darauf drang die sanfte Stimme von Jonny Cash aus den Lautsprechern.
Ich drehte die Musik auf, zündete mir eine Zigarette an und warf einen letzten Blick in Richtung des Golden Gate Parks.
Emilias Tod würde nicht umsonst sein, schwor ich mir erneut und gab Gas.

Einige Stunden später fuhren wir auf der Höhe von Bakersfield über die Interstate 5.
Jonny Cash war schon lange von Beethoven, Slayer und Vivaldi abgelöst worden und die Fahrt war angenehm ruhig verlaufen, nur hier und da hatte ein leerstehendes Auto auf dem Standstreifen gestanden, doch je näher wir Los Angeles kamen, desto häufiger sahen wir solche Wagen.
Und nun standen sie auch auf der Fahrbahn, was mich immer wieder zum ausweichen zwang.
"Ich hab ein ziemlich mieses Gefühl bei der Sache", meinte Jack und löste den Ilussionszauber von sich und Lucinda.
Doch es blieb ruhig, auch wenn wir nun bedeutend langsamer voran kamen, wobei ich zweimal sogar aussteigen musste um Autos aus dem Weg zu schieben, doch wir kamen L.A. immer näher, langsam aber sicher.
Schließlich waren wir kurz vor Santa Monica und irritiert bremste ich den Wagen ab.
"Fuck", murmelte ich leise, stieg aus und zog die Sonnenbrille aus. "Hier ist wohl Endstation."
Alle sechs Fahrspuren waren mit einer Barriere aus Wagen versperrt, die ineinander verkeilt und teilweise aufeinander gestapelt waren. Es sah aus wie eine Mischung aus einem Stau, einer Massenkarambolage und einem Abwehrwall.
Einige der Autos hatten ungewöhnlich tiefe Dellen und Kratzer, andere hatten Löcher, als hätte sich Säure hineingebrannt.
Auch Jack stieg aus, die Axt kampfbereit erhoben und hinter ihm Nero.
"Das riecht geradezu nach einem Hinterhalt", flüsterte der Kater und schnupperte, schien aber nichts zu riechen.
Ich ging nochmal zum Wagen zurück, holte meine Tasche und warf sie mir über die Schulter, ehe ich den Sitz meiner Waffen überprüfte und langsam auf den Wall zuging, dicht gefolgt von Jack und Nero.
Unsere Nerven waren angespannt, jederzeit rechneten wir mit einem Angriff, doch es kam keiner.
Nicht als wir über die Autos kletterten, nicht als wir weiter über den Highway gingen und auch nicht als wir den Higyway Richtung Osten verließen und in Richtung eines Gebäudekomplexes liefen, der in einiger Entfernung hinter Baumwipfeln zu sehen war.
Wir liefen durch einen kleinen Waldabschnitt und als wir die letzten Bäume passierten, blieb ich wie angewurzelt stehen.
Uns bot sich ein Bild der Hoffnungslosigkeit und Zerstörung, ganze Häuserblöcke waren verwüstet, als hätte hier ein gewaltiger Tornado gewütet, oder ein Riese mit einer Keule um sich geschlagen.
Die Natur hatte Los Angeles zurück erobert, die Ruinen waren mit Pflanzen überwuchert, doch über allem lag eine dunkle Aura, es war friedlich und bedrohlich zugleich und nun wo wir näher dran waren, erkannte ich, dass die Gebäude ein Krankenhaus waren, beziehungsweise das, was davon übrig war.
Fenster waren eingeschlagen, einige Wände waren eingestürzt oder zumindest kurz davor und es wirkte völlig verlassen.
"Wir sollten uns da umsehen", meinte Nero.
"Der Geruch gefällt mir gar nicht,es riecht nach Tod. Also nicht wie andere Krankenhäuser, die riechen natürlich auch nach Tod, aber eben anders. Wir sollten rausfinden, was hier geschehen ist."
"Du hast recht", stimmte Jack ihm zu.
"Es sieht einfach nicht nach einem Schlachtfeld aus, dafür wirkt die Zerstörung zu... gleichgültig."
Ich nickte, dann sagte ich: "Ihr solltet hier warten, oder zumindest Abstand halten, falls es Überlebende gibt, sind ein Dämon und ein sprechender Kater nicht unbedingt besonders vertrauenerweckend."
Die beiden schauten mich skeptisch an, aber ehe sie etwas erwidern konnten, rannte ich los, setzte lautlos über Hindernisse hinweg und achtete wie von selbst darauf in Deckung zu bleiben, bis ich nur kurze Zeit später vor den Eingangstüren des teilweise zerfallenen Gebäudes stand.
So leise wie möglich öffnete ich die Tür und schlich durch die Gänge des Krankenhauses, während ich Gladys zog.
Es war still, lediglich aus einem der hinteren Behandlungszimmer kam ein leises, aber beständiges Kratzen.
An den Wänden klebte getrocknetes Blut, es roch nach Verwesung und dunkle Magie sickerte durch jede Ritze dieses Gebäudes.
Ich war versucht zu rufen, aber ich spürte nur ein einziges Lebewesen am Ende des Ganges und diese Energie war eindeutig menschlich.
Dennoch steckte ich Gladys nicht weg und lief lautlos weiter, bis ich direkt vor der Tür stand.
Das Kratzen stoppte und ich hörte, wie eine Patrone in die Trommel eines Revolvers geschoben wurde.
Langsam öffnete ich die Tür und sah mich einem Mann gegenüber, der dunkles Haar hatte, blutunterlaufene Augen, sein wahrscheinlich sonst reiner Ärztekittel war völlig zerschlissen.
Als er mich erblickte, schreckte er zusammen, riss den Revolver hoch und richtete ihn mit zitternden auf mich.
"Wer bist du?"
"Mein Name ist Nathaniel", antwortete ich ruhig und senkte langsam meine Waffe.
Ich bemerkte eine tiefe Bisswunde am Hals des Mannes, sie eiterte und hatte einen ungesunden, lilafarbenen Ton.
"Wie heißt du? Und was ist das für eine Wunde?"
Der Mann begann zu zittern, machte aber keine Anstalten den Revolver zu senken.
"Das ist der Biss eines Infizierten."
Vorsichtig trat ich einen Schritt näher.
"Ein... Infizierter? Wie meinst du das?"
Der Mann begann zu lachen, doch es klang schrill und voller Angst.
"Sieh dich doch um", kicherte er wahnsinnig.
"Sie sind überall, wir sind verloren, wir sind alle verloren."
Ich trat noch einen Schritt vor, steckte Gladys weg und hob meine Hände auf Augenhöhe.
"Ich kann dir helfen", sagte ich leise.
"Lass mich deine Wunde heilen und erzähl mir, was hier passiert ist."
Wieder lachte der Mann, doch es ging in ein Schluchzen über und er ließ den Revolver ein wenig sinken.
"Das kannst du nicht", flüsterte er leise.
"Das kann niemand. Die gefallenen Götter, sie... sie reißen uns zu sich in den Abgrund. Du musst eine Illusion sein... Ich hatte gehofft, mir bliebe mehr Zeit."
Er schloss die Augen und hob das Gesicht zur Decke.
"Ich komme zu dir, Mary.", hauchte er und hob den Revolver an sein Kinn.
Ich stürzte vor, wollte ihn aufhalten, doch noch ehe ich den Schreibtisch überhaupt erreicht hatte, zerfetzte ein Knall die Stille und eine Mischung aus Blut und Hirn spritzte an Decke und Wand.
Dann, ganz langsam kippte der Mann beiseite und fiel von seinem Stuhl zu Boden.
Ich wandte den Blick ab, der zufällig auf ein einzelnes Blatt Papier, das auf dem Tisch lag, fiel. Daneben ein Bleistift. Daher war also das Kratzen gekommen.
Es war ein Brief, nicht sonderlich lang, aber schon aus den ersten Zeilen ging hervor, dass er an seine verstorbene Frau gerichtet war, unterschrieben war der Brief mit 'Dein Richard'.
Bedauern und Schuldgefühle überkamen mich, doch ich schluckte sie runter, dafür war jetzt keine Zeit.
Mit einem Kloß im Hals faltete ich das Blatt zusammen, dann hob ich den Mann auf den Schreibtisch, legte ihm den Brief auf die Brust und faltete seine Hände darüber.
"Requiescat en pace, Richard", sagte ich mit leiser, aber klarer Stimme und trat einige Schritte zurück.
Eine tosende Feuersäule verschlang den Tisch, verschonte aber den Rest des Zimmers, bis nur noch ein kleiner Haufen Asche von Richard übrig war, die ich mit einer sanften Brise aus dem Fenster wehte.
Seine Seele konnte die Erde nicht verlassen, aber dennoch hoffte ich, dass dieser Mann seinen Frieden fand.
Ich richtete meinen Mantel mit fahrigen Fingern, drehte mich um und verließ den Raum, während ich mir eine Zigarette anzündete.
Wir mussten weiter. Wir mussten diesen Frank finden und herausfinden, was zum Teufel hier vor sich ging.

GötterdämmerungWhere stories live. Discover now