Kein stilles Lächeln

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Zunächst war es nur ein leises Murmeln, ein stilles fast unhörbares Raunen, das von Ohr zu Ohr geflüstert wurde, während Gesichter sich ungläubig verzogen. Mit dem Wind wurde die Nachricht weiter getragen, durch menschenleere Gassen zu mit Leben erfüllten Häusern.

Den kleinen Bus, der die letzten Nachteulen durch die Straßen trug, hatte das Gewisper noch nicht erreicht.

Überall sah man müde Gesichter, hinter Händen verstecktes Gähnen und Augenringe. Ein kleiner Junge kuschelte sich an seine Mutter, die aus dem Fenster starrte, während dahinter eine alte Dame an die Schulter ihres Ehemannes gelehnt schlief. Ganz hinten unterhielten sich drei junge Männer, doch auch ihre Stimmen hallten nur gedämpft durch den Bus.

Es war die alte Frau mit ihrem Rollator, die an der vorletzten Haltestelle zustieg und die Nachrichten zuerst dem Busfahrer zuflüsterte. Die junge Mutter richtete sich auf, als der Rollator an ihr vorbei geschoben wurde und sie der Miene gewahr wurde, das das Gesicht der Frau in verschiedenste, kaum greifbare Farben schmückte und ihre Züge zu verbergen schien. Der Junge wachte auf und starrte mit großen, weit aufgerissenen Augen die Fremde an, die von einem scheinbar unmöglichen Geschehnis berichtete. Dem mittleren der drei Männer liefen Tränen über das Gesicht und die beiden anderen nahmen ihn still in den Arm.

Nur die junge Frau, die einsam und still in der Mitte der Sitze schlief, erreichten die Nachrichten nicht. Ihr Gesicht war abgewandt von dem Mittelgang, über den die Botschaft getragen wurde, verschlossen von den anderen Menschen und dem Leben, das sie bedeuteten, sondern zugewandt der Dunkelheit, der sie sich mehr verbunden zu fühlen schien. Still, fast versteinert saß sie da, die schmalen Hände in den Schoß gelegt, die Augen geschlossen und zugleich angespannt wie eine Bogensehne.

Auch die Diskussion, die im Mittelgang entbrannte und die letztendliche Überredung des Busfahrers entging ihr.

Erst als der Bus das nächste Mal anhielt, rührte sie sich. Zunächst zuckten die Schultern, dann hob sie die Hand, um sich eine einzelne Haarsträhne zurückzustreichen, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte. Schließlich erhob sie sich, griff nach dem kleinen, roten Rucksack, der die einzige auffällige Farbe an ihr war, und schulterte ihn. Ohne aufzusehen, ging sie an dem Busfahrer vorbei und wollte schon aussteigen, als ihr Blick auf die anderen Menschen fiel, die sich im Gang versammelt hatten, jedoch keine Anstalten machten, auszusteigen.

Verwirrt wandte sie sich an den Busfahrer. „Ich bin doch hier richtig, oder?", fragte sie und nannte den Namen der Haltestelle.

„Ja", entgegnete der Mann mittleren Alters mit der Glatze.

„Aber es ist die letzte Haltestelle", versicherte sie sich und führte eine wage Geste in Richtung der Versammelten aus.

„Richtig", entgegnete er, während seine Finger über das Lenkrad trommelten.

Ein Ruck durchlief den Körper der jungen Frau und sie runzelte die Stirn, vielleicht ungeduldig.

„Und weshalb steigen die Leute dann nicht aus?"

„Geht dich das etwas an?", fauchte er, „Rein oder raus? Mir ist es gleich, solange du eine Entscheidung triffst."

Den Bruchteil einer Sekunde zögerte sie noch, dann erwiderte sie mit leiser, verunsicherter Stimme: „Rein"

Hinter ihr schlossen sich die Türen und der Bus fuhr an, bevor sie sich wieder auf ihren alten Platz gesetzt hatte. Sie stolperte, konnte sich jedoch im letzten Moment an einer der Haltestangen festhalten. Dabei rutschte ihr jedoch der Rucksack von der Schulter und der Inhalt entleerte sich auf dem Boden. Mit hochrotem Kopf beugte sich die Frau herab, griff nach Büchern, Zetteln, Stiften und stopfte alles, so schnell sie es fassen konnte, zurück in die Tasche.

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⏰ Last updated: Apr 01, 2019 ⏰

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