Schneckenliebe Part 1

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Gretchen war im Wald gewesen und hatte dort Gräser gesammelt. Sie trennte die Schönsten von den Normalen und entdeckte dabei eine winzige, dunkelbraune Schnecke, die plötzlich auf dem Knöchel ihres rechten Mittelfingers hockte.

„Oh."

„Was is'?" rief Bernhard aus dem Wohnzimmer. Er hatte gerade den Fernseher eingeschaltet.

„Ich habe eine Schnecke mitgebracht."

„Aber wir essen doch kein Gebäck."

„Ich meine ein echtes, lebendiges kleines Schneckchen. Das ist ja süß."

„Nicht totmachen!"

„Phh, das musst du gerade sagen. Ich töte keine Spinnen und Fliegen so wie du."

„Es gibt lebenswürdiges und lebensunwürdiges Leben."

„Wie wär's denn mal mit liebenswürdigesLeben, Bernie?"

„Ruhe! Jetzt ist Fußball."

Gretchen kam ins Wohnzimmer, nahm die neue Jesusfigur von der Wand und rieb sie mit einem trockenen Lappen, bis sie glänzte. Dabei stand sie direkt neben dem Fernseher. Sie wusste nicht genau, ob sie dabei Bernhard beim Fußballgucken irritierte.

„Ich habe das Schneckchen auf die Pflanze auf dem Küchenfenster gesetzt."

Bernhard sagte nichts.

„Ich bin echt froh, dass ich diesen Jesus gefunden habe. Du solltest nächstes Mal zum Antik-Flohmarkt mitkommen. Vielleicht haben sie da was für dich. Einen alten Dolch vielleicht, oder ein antikes Instrument. Eine alte Gitarre aus den alten Jazztagen. Wäre doch schön für dich. Du dudelst schon viel zu lange auf dieser hässlichen Klampfe herum. Sie klingt einfach nicht gut. Ist ja auch nur ein Nachbau. Der Jesus hat nur 44 Euro gekostet. Ich glaube im Laden kriegt man den nicht unter 80. Guck mal den Kontrast des goldblattbezogenen Leibs zu dem Holz des Kreuzes. Und er ist noch nach Art des Barock geschnitzt. Ich mag ja kein Biedermeier. Ein wirklich schöner Körper. Ach ja, nackte Männer ... Musst du heute eigentlich arbeiten?"

Bernhard sagte nichts und stierte grüblerisch auf den Fernseher. Bundsliga, 31.Spieltag.

„Ist heute nicht der Frauenpolterabend von dem Nagelstudio?" fragte Gretchen.

Bernhard nickte kaum sichtbar.

„Aber wir essen doch vorher? Ach nein, du willst ja nicht mit vollem Magen arbeiten. Nur ein Snack also. Ich mache dir eine kleine Teigtasche mit Schinken und Käse. Wenn du früh genug zurück kommst, können wir ja noch das Telefonbuch auswendig lernen, hm? ... Ich glaube ich lege dir mal deine Klamotten zurecht. Duschen brauchst du ja wohl nicht mehr. Die mögen es doch, wenn die Kerle nach Schweiß duften. Vielleicht nur ein wenig Kölnisch Wasser. Weißt du noch, dass du es von Elfi geschenkt bekommen hast? Sie dachte, wir würden bald heiraten. Ich kannte sie erst drei Wochen, und sie hat nicht gewusst, dass wir Geschwister sind. Es ist so schade. Wir können nie heiraten. Dieses Deutschland ist so unfair gegenüber der Liebe.


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