5. Kapitel - Aller Abschied ist schwer

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Zwischen gelben und schwarzen Schuppen glühte ein Paar rubinroter Augen. Das dazugehörige Monster knurrte, aber davon ließ sich Vidar nicht abschrecken. „Ich werde dir nichts tun.", versprach er, während er einen Schritt nach vorn ging. Mit einem lauten Schrei entfaltete der Groß-Girros sein Nackenschild und entblößte eine Reihe scharfer Fangzähne. Nur zu gern hätte Vidar seine Morph-Axt herausgeholt. „Hey!", herrschte er das Monster an. Zur Antwort spuckte es sein paralysierendes Gift in die Richtung des Jägers, welcher mit einem geschickten Seitwärtsschritt auswich. Der Groß-Girros machte sich groß und stieß noch mehr seiner grässlichen Rufe aus, vergebens. Sein Rudel hatte Antara in einen anderen Teil des Tals getrieben, damit Vidar sich allein mit dem Anführer beschäftigen konnte. Er machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, die Hand vor sich gestreckt. Noch mehr des gelben Giftes tropfte von den riesigen Fangzähnen des Monsters auf den Boden. Vidar schluckte. Er wollte keineswegs etwas von dem Gift abbekommen. Da war es auch ganz egal, wie gut Antaras Heilkünste waren. Trotzdem näherte er sich dem Groß-Girros weiterhin. Nicht aufzugeben. Das hatte er ihr versprochen. Nur noch wenige Zentimeter trennten seine Hand vom glänzenden Schuppenpanzer. Die Angriffsbereitschaft des Monsters hatte sich in Verwirrung verwandelt. Zwar glimmerten seine Augen noch, aber der blinde Zorn in ihnen war einer sanfteren Neugier gewichen. Vidar fühlte die Schuppen jetzt auf seiner Hand. Sie fühlten sich anders an als erwartet. Ganz glatt und kühl. Er hatte immer gedacht, dass das Schuppenkleid feucht war, vielleicht sogar etwas schleimig. Das Gegenteil war der de Fall: Sie waren ganz trocken. Vidar streichelte dem Groß-Girros noch etwas weiter den Kopf. Dann hörte er Antaras Stimme hinter sich. „Hast du einen neuen Freund gefunden?" Der Groß-Girros schreckte zurück und fletschte die Zähne. Als er jedoch erkannte, dass die dunkelhäutige Frau zu ihnen gehörte, entspannte er sich wieder. „Ja, hab ich. Vielleicht sollte ich im einen Namen geben.", scherzte Vidar. In diesem Moment vernahm der Groß-Girros in der Ferne den schwachen Ruf eines anderen Girros und preschte davon, Kito, seinen eigentlichen Fressfeind, vollkommen ignorierend. Sein Rudel brauchte ihn jetzt. Der Odogaron schaute ihm nach und sprang dann auf Vidar zu. Vor wenigen Tagen hätte dieser ihm mit der Morph-Axt einen tiefen Schnitt verpasst. Jetzt streichelte er Kito genau wie den Groß-Girros eben. „Hast du mich vermisst?", fragte er. Antara schmunzelte.

„Ich muss schon sagen, du hast dich ganz schön verändert, mein lieber Jäger.", gab sie zu. „Vorgestern hast du noch nicht im Traum daran gedacht, einen Groß-Girros zu streicheln und heute kuschelst du mit meinem Odogaron." Zu dritt schlugen sie nun den Weg zurück ins Lager ein.

„Na ja...", murmelte Vidar, „Man muss sich seinen Ängsten stellen." Antara nickte abwesend und kickte einen kleinen Knochen vor sich her. Etwas schien sie zu beschäftigen. „Ist alles in Ordnung bei dir?", fragte er. Seine braunen Augen trafen auf ihre dunklen, fast schon schwarzen Augen. Sie erinnerten ihn an den Nachthimmel.

„Ich denke nur gerade darüber nach, was passiert wäre, hätte ich dich nicht dazu gebracht, Monstern zu vertrauen.", erwiderte sie.

„Wahrscheinlich würde ich hier mein Dasein fristen und eine andere Lösung suchen." Er schob die Wurzeln zum Eingang des Lagers beiseite. Caligo lag zusammengerollt in der Schlafkuhle. „Hatten wir ihm nicht gesagt, er soll das Essen vorbereiten?", wandte Vidar sich an Antara. Sie zuckte mit den Schultern und weckte das graue Fellknäuel. Mit einer Bewegung ihres Kopfes bedeutete sie ihm, sich um den Grillspieß zu kümmern. Der Grimalkyne brummte.

Schon bald brutzelte der Sushifisch über dem kleinen Feuer und vertrieb den üblen Geruch der Verwesung. Vidar, welcher jetzt angelehnt an Kito saß, war sich aber sowieso sicher, dass seine Nase fast abgestorben war. War vielleicht auch besser so. „Wann genau ist deine Forschung eigentlich abgeschlossen, Antara?", fragte er, einen Blaupilz zubereitend.

„Noch ein paar Tage vielleicht. Du musst auch bald los. Heute Morgen habe ich den Odograon dabei beobachtet, wie er sich in den oberen Teil des Tals gewagt. Er hat sich bestimmt auf den Weg ins Korallenhochland gemacht.", erklärte sie nachdenklich.

Während des Essens erzählten sie sich gegenseitig Geschichten aus Astera und Antaras kleiner Rider-Siedlung. Obwohl die Luft von Gelächter und Freude erfüllt war, spürte Vidar wie etwas an seinem Herzen zog und es ganz schwer machte. Bald würde er Antara, Caligo und auch Kito verlassen müssen und wieder seinen eigenen Weg gehen. Natürlich freute er sich darauf, nach Hause zu kommen. Trotzdem bereitete ihm der bevorstehende Abschied Kummer. Er hatte in seiner Zeit hier mehr gelernt, als bei seinen letzten drei Quests, aber das hatte an ihm gelegen. Er hatte sich überschätzt, für den Besten gehalten und dann war seine Welt auseinandergefallen...

„Hörst du mir überhaupt zu?", riss Antara ihn aus seinen Gedanken. Sie wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht herum.

„Hm... Was?", fragte er verwirrt. Er bereute seine Entscheidung, seinen Gedanken zu folgen statt ihr zuzuhören.

„Ich sagte, dass wir gleich nach dem Essen, die Spur des Odogaron suchen sollten.", erklärte sie. Er warf einen Blick auf seinen halb gegessenen Fisch. Plötzlich wollte er gar nicht mehr essen. Wenn das Essen nicht endete, konnte er auch nicht fort. Aber er musste. Rhaach und Zeron waren bestimmt schon halb tot vor Sorgen. Nach den ganzen Schwierigkeiten, die er ihnen so oft bereitet hatte, war es seine Pflicht zurückzukehren.

Über ihnen wölbte sich der Himmel und große korallenartige Gebilde schossen überall um sie herum in die Höhe. Nichts als die unendliche Weite des Himmels über sich zu haben... Dieses Gefühl war Vidar fremd geworden. Die meiste Zeit hatte er im unteren Teil des Tals verbracht. „Es ist soweit.", verkündete Antara. Zwar lächelte sie, aber dahinter verbarg sich Trauer. „Die Spuren des Odogarons beginnen hier und müssen hinauf in das Korallenhochland führen.", fuhr sie fort, „Auch wenn du jetzt mit Monstern besser umgehen kannst, halt Abstand, wenn du den Odogaron siehst. Odogaron sind aggressiv und skrupellos und dieser hier wahrscheinlich ausgehungert."

„Danke, Antara. Für alles." Er zog sie in eine feste Umarmung. Ihr Geruch – eine Mischung aus dem ledrigen Material der Rüstung und verschiedenen Kräutern – brannte sich in seine Nase ein. „Ich werde dich nie vergessen...", murmelte Antara so leise, dass Vidar es fast nicht verstand. Bevor es zu einer dieser seltsamen, ewig andauernden Umarmungen ausarten konnte, löste er sich von ihr. Die altbekannte Schwere kehrte in sein Herz zurück, stärker als zuvor. Caligo machte sich mit einem Grummeln bemerkbar. „Ich hab dich schon nicht vergessen.", lachte Vidar und strich dem Grimalkynen über den Kopf. Liebend gern hätte er Caligo mitgenommen, aber Caligo wollte in seiner Heimat bleiben. Kito streichelte er auch noch einmal, ehe er sich auf den Weg machte. Sein Blick war stets auf die Fußabdrücke in der weichen Erde gerichtet. Er war noch nicht weit gegangen, da hörte er Antaras Stimme ein letztes Mal hinter sich. „Wenn du je einen anderen Rider triffst, sag ihm er soll mich von dir grüßen!" Winkend stand sie noch immer am Anfang des Pfades.

„Wenn du je nach Astera kommst, frag einfach nach mir. Ich werde dich herzlich empfangen!", rief er zurück, obwohl er nicht glaubte, dass Antara jemals freiwillig in eine Jägerstadt gehen würde. Sie rief noch ein „Werde ich!" zurück, aber dann setzte Vidar seinen Weg fort. Er wollte noch vor Nachteinbruch im Korallenhochland ankommen.

A/N: Tja... Da ist es nun, mein fünftes Kapitel, welches eigentlich schon vor einer gefühlten Ewigkeit fertig gewesen sein sollte. Leider hat mein Schreibprogramm (LibreOffice, falls es jemanden interessiert) die Angewohnheit öfters mal nicht zu reagieren und wenn ich einen Satz löschen möchte, passiert das auch nur ganz langsam. Da verliert man natürlich schnell die Lust am Schreiben. Dann bin ich jetzt noch ganz vorbildlich und gebe euch die Quelle vom Bild des heutigen Kapitels. Das gif kommt von kimarisgundam auf tumblr.

Monster Hunter - In den Tiefen des TalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt