- Kapitel 10 -

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Lukes Sicht

Noch etwas schlaftrunken tappste ich die Treppe runter. Auf dem Weg in die Küche konnte ich aus dem Wohnzimmer Stimmen hören. Eine davon war Moms Stimme. Die Zweite konnte ich noch nicht zuordnen. Sicher war, dass es nicht Dads Stimme war.

In der Küche machte ich mir eine Tasse Kakao mit kalter Milch. Mit dieser setzte ich mich an den Tisch und ließ mich richtig wach werden.

Im Hintergrund hörte ich das leise Brummen des Kühlschranks und die Stimmen aus dem Wohnzimmer. Was geredet wurde, verstand ich nicht. Wollte ich auch nicht.

Sobald die Tasse leer war, stellte ich sie in den Geschirrspüler und wagte einen Blick ins Wohnzimmer. Dort saßen Mom und Jules auf dem Sofa und redeten miteinander.

Jules war da.

Trotz seines Vertrauensbeweises vor einiger Zeit war mir immer noch nicht wirklich wohl dabei, wenn er sich in unserem Haus befand. In dem Moment, als ich mich umdrehen und wieder hochgehen wollte, wurde ich entdeckt und von Mom angesprochen: »Guten Morgen Luke. Gut geschlafen?«. »Ja. Gut geschlafen. Ist Akira schon wach?«. »Sie ist wach und bereits mit eurem Vater im Garten am Trainieren«. Sie deutete auf die Tür, die in den Gärten führt. »Danke«. Mit den Worten ging ich mich erst umziehen und dann raus in den Garten.

Kaum war ich draußen, hörte ich schon die ersten Kampfgeräusche. Dann entdeckte ich die beiden. Sie standen sich gegenüber. Dad hatte sich die Übungspolster an die Unterarme gemacht, um das Verletzungsrisiko zu minimieren. Dann ging Akira auf ihn los, bzw. auf die Polster. Sie bevorzugte Tritte oder es war ihr Schwerpunkt in diesem Training.

»Sieht gut aus. Scheinst nicht aus der Übung gekommen zu sein«, lobte Dad meine Zwillingsschwester. Sie grinste und setzte zum nächsten Tritt an.

Ich beschloss eine Weile zuzusehen. Es faszinierte mich immer wieder aufs neue Akira kämpfen zu sehen. Dabei kamen mir Erinnerungen auf, als sie vor ein paar Jahren bei einem Wettbewerb mitgemacht und den dritten Platz geschafft hat.

Mit wachsamem Blick beobachtete ich Akiras Bewegungen. Sie setzte zum nächsten Angriff an. Einem frontalen Sprungtritt. Dabei sprang sie leicht hoch, trat mit beiden Füßen nacheinander gegen die Polster und landete wieder sicher auf den Füßen. Diesen Tritt wiederholte sie ein paar Mal.
Bis sie bei einer Wiederholung ins Schwanken geriet und bei der Landung mit dem rechten Fuß umknickte. Mit einem erschrockenen Aufschrei ging sie zu Boden. Ich zog scharf die Luft ein und lief zu ihr.

»Hast du dich verletzt?«, wollte ich wissen und spürte wie mein Herz raste. »Scheiße. Au«, fluchte sie. »Wie stark sind die schmerzen?«, fragte Dad sie. »Geht schon«, grummelte sie und versuchte aufzustehen. Dabei balancierte sie auf dem linken gesunden Fuß. »Sicher?«. Auf die Frage von Dad rollte meine Zwillingsschwester genervt mit den Augen.

Vorsichtig versuchte sie den rechten Fuß zu belasten. Ihr Gesicht verzog sich und sie reduzierte die Belastung auf den Fuß.

»Lass uns reingehen. Da kann Jules sich deinen Fuß ansehen«, meinte Dad und begann Akira zu stützen.

Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und ich lief schweigend hinter den beiden her nach drinnen.

»Was ist passiert?«, fragte Mom direkt, als sie Akira neben Dad reinhüpfen sah. »Sie ist beim Training unglücklich umgeknickt und jetzt kann sie nicht mehr auftreten«, klärte Dad auf, und ließ Akira sich aufs Sofa setzen. Jules ging zu ihr. »Darf ich mir das einmal ansehen?«, fragte er nach ihrer Erlaubnis. Akira nickte.

Ich hatte mich an den Türrahmen zurückgezogen und beobachtete von dort, wie Jules sich Akiras verletzten Fuß ansah. Sie zischte auf, worauf es mir einen eisigen Schauer über den Rücken jagte.

»Er tut ihr weh«, ertönte es in meinen Gedanken. Einen Gedanken den ich nicht da haben wollte.

»Das ist bereits ordentlich geschwollen, du hast Schmerzen. Zur Sicherheit sollte das einmal in der Klinik geröntgt werden. Einfach um sicherzugehen«, teilte Jules seine Meinung zu Akiras Verletzung mit.

Wieder krampfte sich mein Magen zusammen und mir wurde schlecht. Dabei ging es gar um mich, sondern um meine Zwillingsschwester. Und trotzdem kroch die Panik langsam aber sicher immer weiter in mir hoch, ohne das ich dazu in der Lage war sie zu stoppen.

»Dann lass uns gleich sofort fahren.«

Das war der Moment, in dem ich den Rückwärtsgang einlegte, Richtung Haustür ging, meine Schuhe Anzug und nach draußen verschwand.

Für mich war die einzige Lösung die Panik in den Griff zu bekommen einfach zu rennen. Irgendwohin. Ohne richtiges Ziel.

Ich rannte einfach für einige Minuten einfach blind drauflos, bis mir die Luft ausging und ich mein Tempo zwangsweise verlangsamen musste. Das Pochen meines Herzschlags lag mir deutlich in den Ohren.

Irgendwann fand ich mich an der Stelle wieder, die ich vor ein paar Tagen als geeigneten Trainingsplatz gefunden hatte.

»Ein bisschen Training sollte mich ablenken. Wenn ich zurück bin, könnte Akira wieder da sein«, war meine Idee.

Gesagt, getan. Zwar hatte ich keine Sportklamotten an, sondern Cargoshorts und ein T-Shirt, aber das hielt mich nicht davon ab zu trainieren.

Ein Sprung nach dem anderen übte ich. Auch den Präzisionssprung, bei dem ich darauf achten musste bei der Landung mein Gleichgewicht zu halten. Dafür wiederum benötigte ich Konzentration.

Das klingt im ersten Moment nach einer guten Idee. Zumindest in der Theorie, die lautete, dass ich mich konzentrieren musste nicht zu fallen und so nicht an Akira denken musste.

In der Praxis sah das leider ganz anders aus.

Die ersten Versuche gelangen mir gut und ich war überzeugt, dass mein Plan funktionierte.

Dann setzte ich zum nächsten Sprung an und sprang ab.
»Was, wenn sie sie sich den Fuß gebrochen hat und im Krankenhaus bleiben muss. Oder vielleicht muss sie sogar operiert werden?«, huschte mir aus dem Nichts der Gedanke durch den Kopf, der mir die Konzentration raubte. Dadurch verpatzte ich die Landung und fiel dem Boden geradewegs entgegen.

Ich hatte noch versucht mich abzufangen, mein Schwung war dafür jedoch zu groß und der Arm knickte unter mir weg, wobei ein stechender Schmerz meinen gesamten rechten Arm hochschoss. Erschrocken schrie ich auf und blieb nach dem Aufprall auf dem Boden liegen. Noch hatte ich nicht begriffen was passiert war. Starrte einfach hoch in den wolkenlosen Himmel.

WKM - Angst vor ihnen Where stories live. Discover now