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vier / four / quatre / .-

„Im Zimmer 203 ist Savannah. Viel Spaß.", lacht Mina und deutet auf die Tür vor mir. Missmutig sehe ich sie an, doch sie dreht sich mit ihrem Tablett in der Hand um und stolziert in ihr Zimmer. Kurz bevor sie durch den Türrahmen tritt, wirft sie mir noch einen amüsierten Blick zu.

Nachdem ich mich etwas hilflos beim Essenverteilen angestellt habe, kam sie zu mir und hat mir bis jetzt geholfen, jedem Patienten sein Essen auf das Zimmer zu bringen, nur auf Savannah wollte sie nicht treffen. „Sie mag mich nicht wirklich und glaub mir, wenn Savannah jemanden nicht mag, ist es lebensmüde, sich in ihrer Nähe aufzuhalten", hat sie lachend gesagt und sich ihr Tablett geschnappt. Wir haben uns ein wenig unterhalten, und ich musste leider feststellen, dass sie unglaublich nett und witzig ist. Manchmal hasse ich mich selbst ein wenig für meine Oberflächlichkeit, denn obwohl Mina gerade einen Rückfall erlitten hat und seit zwei Monaten vergeblich dagegen ankämpft, konnte sie mehr Lebensfreude aufbringen, als ich es bis jetzt in meinem kompletten Leben getan habe. So habe ich mir Freaks definitiv nicht vorgestellt.

Seufzend greife ich nach dem letzten Tablett und fasse zögernd nach dem Türknauf. Der Geruch von Kartoffelpüree steigt mir in die Nase, während ich die schwere Türe aufdrücke. Ein Teil von mir kann sich nur allzu gut vorstellen, wie Savannah mit einer Messersammlung und irgendwelchen selbsterfundenen Massenvernichtungswaffen neben der Tür steht und jeden angreift, der die Türe öffnet und es wagt, ihr zu Nahe zu kommen.

Als ich das Zimmer betrete, muss ich kurz staunen. Es ist anders als die anderen Räume, größer und besser ausgestattet. Anscheinend hatte man sie in das Luxuszimmer unter den Räumen gesteckt, um sie ein wenig gefügiger zu machen. Aber während es für andere wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto ist, ist es für Savannah nichts. Vorsichtig wage ich einen Blick um die Ecke, wo ihr Bett steht.

Sie sitzt mit angezogenen Knien an die Wand gelehnt auf dem Bett und tippt in einer erstaunlichen Geschwindigkeit auf ihrem Smartphone herum. Sie wirkt so unglaublich verloren zwischen der Bettdecke und dem Kissen. „Was glotzt du so bescheuert?", fährt sie mich plötzlich an und ich muss unwillkürlich lächeln. Sie hat in der Zeit, in der ich sie angesehen habe, ihr Handy weggelegt und sitzt nun aufrecht in dem Berg von Kissen. Ihre Augen funkeln mich an, ihre Lippen sind zu einer geraden Linie zusammengepresst.

Ich zucke mit den Schultern, um ihre Frage zu beantworten. „Ich bin Austin", sage ich höflich, während ich das Tablett auf ihren Nachttisch stelle. „Interessiert mich nicht. Verpiss dich mit dem scheiß Essen", antwortet sie und ich versteife mich. Ich zwinge mich zu einem Lächeln, obwohl ich ihr am liebsten meine Faust vorstellen würde. Gott, da haben wir es! Dieses Ding löst sogar in mir den Drang aus, gewalttätig zu werden. „Du musst das essen", sage ich fest und immer noch lächelnd. „Einen Scheiß muss ich", blafft sie. Ihr Gesichtsausdruck wird trotzig und sie sieht aus wie ein kleines Kind, dem gerade etwas verwehrt wird.

Mein Geduldsfaden reißt und ich atme tief aus. Mum, ich kann das wirklich nicht. „Hör mal zu du kratzbürstiger Freak, wenn du dich weigerst, stopf ich dir das Essen in den Hals, da ich echt keine Lust hab dafür verantwortlich gemacht zu werden, dass du nichts isst", zische ich und sie zieht überrascht die Augenbrauen hoch. Wahrscheinlich ist sie es gewohnt, von den Mitarbeitern nur mit Samthandschuhen angefasst zu werden.

Eine Stille entsteht zwischen uns und ihre Fassade verhärtet sich wieder. „Du bist ja gar keiner von ihnen", stellt sie trocken fest und ich nicke leicht. No shit, Sherlock. Sehe ich etwa aus wie ein verbitterter Typ, der Krankenhelfer werden will?

Wieder entsteht ein Schweigen und ich nutze die Zeit, um sie wieder ein wenig zu mustern. "
„Kannst du mir eine Kippe geben?", fragt sie plötzlich und ich zucke leicht zusammen. „Was?" Sie verdreht genervt die Augen. „Ich schätze, du hast mich verstanden."

Verblüfft sehe ich sie an und setze ein Grinsen auf. „Woher willst du wissen, dass ich rauche?"

„Du stinkst nach Rauch. Ich rieche das bis hierher", meint sie und ihre Stimme klingt so monoton. Mein Grinsen verschwindet und ich sehe sie verärgert an. Hat sie gerade ernsthaft gesagt, dass ich stinke?

„Nein, ich habe keine Kippe. Iss dein scheiß Essen, damit ich abhauen kann", knurre ich und sie fängt an zu lächeln. Ich sehe sie verblüfft an. Sie lächelt? Savannah lächelt?

„Hab ich da etwa dein mickriges Ego gekränkt?", fragt sie in einer Singsang-Stimme. Verfluchtes Biest. „Nein. Und jetzt iss.", antworte ich schorf und nehme den Deckel vom Tablett. Es gibt Kartoffelpüree mit Gemüse. Wie einfallsreich. Und selbst das sieht ungefähr so appetitlich aus wie mein ekelhafter Arbeitskittel.

„Du kannst dein Tablett einpacken, ich esse das nicht. Also, wo bleibt meine Zigarette?", hartnäckig sieht sie mich an. Meine Fresse, ich wollte ihr doch bloß ihr scheiß Essen bringen. „Du kriegst von mir keine Kippe. Ich denke nicht, dass es in deinem Zustand empfehlenswert ist, noch zu rauchen", meine ich und nehme erst danach wahr, was ich gesagt habe. Beschämt sehe ich auf den Boden und warte auf ihre Reaktion.

Sie lacht leise auf und betrachtet ihre Zehen. „In meinem Zustand ist es empfehlenswert, zu rauchen und nicht nicht zu rauchen", sagt sie verächtlich und ich versuche, das Chaos in meinem Kopf zu ordnen. „Wie du meinst. Aber von mir kriegst du keine", ich zucke mit den Achseln.

„Dann kannst du ja jetzt endlich verschwinden", meint sie und greift nach einem Zopfgummi, um ihre langen, blonden Haare zu bändigen. Stumm sieht sie mich an und in ihren Augen spiegelt sich so viel. Ich seufze und stehe auf. „Tschüss", sage ich, obwohl mir bewusst ist, dass ich sowieso keine Antwort erhalten werde. Das Tablett lasse ich zurück, in der Hoffnung, sie würde wenigstens ein bisschen essen.

Ich atme auf, als ich aus dem Zimmer trete und sehe Mina auf mich zukommen. „Du lebst ja noch. Ich schätze, das ist ein gutes Zeichen", grinsend sieht sie mich an. Lachend nicke ich und laufe los Richtung Schwesternzimmer. „Wohin des Weges?", frage ich Mina, die neben mir läuft, aber nicht wirklich das selbe Ziel wie ich zu haben scheint. „Zu Jacob ins Zimmer. Wir verstehen uns gut", sagt sie zögernd und ich grinse. Kurz muss ich mir ein Zwinkern verkneifen. Lachend schüttelt sie den Kopf. „Ich kann deine Gedanken praktisch spüren, aber es ist nicht so. Wir verstehen uns gut, als Freunde", erklärt sie und ich nicke wissend. „Und du?"

Verwirrt sehe ich sie an. „Wohin du willst", vervollständigt sie ihre Frage und ich lache. „Achso. Ich muss jetzt wohl oder übel die 16 Tabletts einsammeln", meine ich und schmolle. Es entlockt Mina ein Lachen, was mich ein wenig glücklich macht. Sie hat bestimmt schon so viel hinter sich gebracht, da braucht sie hin und wieder diese befreiten Momente, in denen sie auch mal grundlos drauf los lachen kann.

„Na dann, viel Spaß. Wir sehen uns!", ruft sie und läuft Richtung Jacobs Zimmer, welches eines der ersten und deshalb ziemlich nah am Ausgang ist. Ich stöhne auf, als ich den Wagen sehe, mit dem ich die Tabletts einsammeln gehen muss. Damit es schnell geht, zögere ich nicht und mache mich sofort an die Arbeit.

Ich bin mehr als erleichtert, als ich schließlich beim letzten Zimmer ankomme. Savannahs.

Ich beuge mich und hebe das Tablett auf. Verblüfft bemerke ich, dass es etwas leichter ist. Schnell hebe ich den Deckel an und stutze. Auf dem Teller ist definitiv weniger, als davor und die Gabel sieht benutzt aus. Es ist nicht viel, was sie gegessen hat und es könnte auch sein, dass sie es weggekippt hat, aber allein der Gedanke reicht, um mir ein komplett idiotisches Grinsen auf die Lippen zu zaubern, welches bis zum Schluss meiner Aushilfeschicht dort blieb.

SavannahWhere stories live. Discover now