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fünf / five / cinq / .-

Erschöpft lasse ich mich auf den Beifahrersitz meines Autos fallen. Ich bin so fertig, dass ich das Autofahren dieses Mal meiner Mutter überlasse. Diese lässt sich mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen neben mir nieder und greift nach dem Schlüssel, welcher in meiner Hand liegt. „Das war doch mal ein gelungener Tag, oder nicht?", fragt sie euphorisch, während sie den Wagen startet. Ich rümpfe die Nase und zucke mit den Schultern. Ich möchte ihr so vieles vorwerfen, dennoch verkneife ich mir einen bissigen Kommentar und vermeide somit einen weiteren, potenziellen Streitauslöser. „Hätte besser sein können."

Die Fahrt verläuft von beiden Seiten aus schweigend und keiner von uns will die Stille, die zwischen uns herrscht, brechen. Auch, wenn die Stimmung sich leicht aufgelockert hat, bin ich angespannt und meine Wut ist immer noch groß, was bei meiner Mutter allerdings anscheinend nicht mehr der Fall ist.

Vor unserem Haus steige ich aus und laufe mit großen Schritten zur Haustüre. „Austin?", ruft meine Mutter mir hinterher, während sie aus dem Auto steigt. Sie musste noch das Auto in unserer Auffahrt parken. Ich drehe mich ruckartig um und sehe sie mit einem fragendem Blick an.

„Danke, dass du das heute ein wenig ernst genommen und mich nicht blamiert hast", sagt sie, halb grinsend und mit einem etwas freundlicheren Umgangston als in den letzten Tagen. Ich zwinge mir ein Lächeln auf und sperre die Tür auf. Auch, wenn es eine vermeintlich lieb gemeinte Geste war, weiß ich, was Mum damit andeuten will. Es ist wie eine Drohung, nur auf ihre Art, die mir verständlich machen soll, dass ich es ja nicht wagen soll, mich auch nur einmal bei ihren Psychos daneben zu benehmen.

Ich seufze frustriert auf, ziehe meine Schuhe aus und renne schließlich die Treppe hoch in mein Zimmer, um weitere Gespräche zu vermeiden. Die Haustüre unten knallt laut zu und ich höre, wie meine Mutter in die Küche tapst. Wahrscheinlich würde sie sich wie so oft einen gemütlichen Feierabend vor dem Fernseher mit einer Folge ihrer Lieblingssendung machen und dann dort mit der grünen, nach Lavendel stinkenden Wolldecke einschlafen. Meine Augen werden ein wenig schwer, als ich an das Schlafen denke. Alle meine Gedanken drehen sich nur noch um mein Bett und meinen heiß ersehnten Schlaf und erst jetzt bemerke ich, wie mir die Müdigkeit langsam Kopfschmerzen zubereitet. Ein verbittertes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Für die Gesundheit anderer fremder Menschen sorgen, während man seiner eigenen dabei schadet, oder?

Um so schnell wie möglich meinen, durchaus verdienten, Schlaf zubekommen, trotte ich in das Badezimmer und mache mich bettfertig. Nach einer kurzen Dusche, Zähneputzen und Umziehen gehe ich schließlich zurück in mein Zimmer und lasse mich, völlig ausgelaugt von dem heutigen Tag, in mein Bett fallen.

Doch während ich mich in meinem Bett auf der Suche nach einer bequemen Schlafposition hin und her wälze, erscheint ein anderes Bild vor meinem inneren Auge und die Lust auf Schlafen vergeht mir schlagartig.

Blonde Haare, eiskalte Augen und eine Ausstrahlung, die dafür sorgt, dass es dir eiskalt den Rücken runter läuft. Savannahs Gegenwart ist wie eine Bluttransfusion einer falschen Blutgruppe. Sie lässt dein Blut nicht in den Adern gefrieren, nein, sie sorgt dafür, dass es sich langsam in deinen Venen und Arterien verklumpt. Ich lache leise auf, denn meine eben erfundene, idiotische Metapher trifft den Nagel auf den Kopf.

Grinsend drehe ich mich auf den Rücken und starre meine Decke an. Trotz ihrer, bis jetzt, unausstehlichen Art und ihren knallharten Zurückweisungen fasziniert mich Savannah. Sie fasziniert mich nicht nur, nein verdammt, sie spukt noch dazu seit dem Abendessen pausenlos in meinem Kopf herum. Was zur Hölle muss diesem Mädchen widerfahren sein, dass sie so mit ihren Mitmenschen und auch mit sich selber umgeht? Immerhin wusste sie, als sie nach einer Zigarette fragte, dass Nikotin bei ihrem geschwächten Körper ein Todesurteil sein kann.

In meinem Zustand ist es empfehlenswert, zu rauchen und nicht nicht zu rauchen.

Es fühlt sich an, als hätten sich ihre Worte in meinem Kopf eingebrannt, gegen meinen Willen. Verzweifelt versuche ich, die Botschaft hinter ihrer Aussage herauszufinden, doch ich komme zu nichts. Mir wird schlagartig klar, dass ich nichts über sie weiß und dann dennoch meine Gedanken an sie verschwende. Ich rümpfe verächtlich die Nase und schließe die Augen. Natürlich weiß sie, dass es ihr Todesurteil sein könnte, immer hin ist sie nicht umsonst in einer Jugendpsychiatrie. Und langsam erscheint mir die Aussage meiner Mutter als berechtigt und völlig verständlich. Savannah weiß, wie schlecht es um sie steht und sie hungert trotzdem weiter, denn auch, wenn die kleine Portion, die sie heute zu sich genommen hat, mich wirklich glücklich machte, ist es immer noch viel zu wenig und gesund ist es noch lange nicht.

Außerdem kann sie das Essen genauso gut wegschmeißen und mich nur im Glauben lassen, dass sie endlich zur Vernunft gekommen ist und ihr essgestörtes Verhalten bekämpfen will. Ein schwerkrankes Mädchen, das gesund werden will, würde doch nicht nach einer Kippe, die ihr vielleicht das Leben kosten könnte, fragen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es bei Savannah nicht tagtäglich vorkommt, dass sie raucht. Sie wirkt wie ein kleiner Rebell, der sich nichts vorschreiben lässt und alles dafür tut, um aus der Reihe zu tanzen und dem Ideal der Gesellschaft entgegen zu treten. Vielleicht ist sie auch nur auf Kriegsfuß mit sich selbst und möchte sich beweisen, dass sie anders sein kann, als es von irgendjemandem vorgesehen ist. Genervt von mir selbst, von meinen eigenen, so dummen Gedanken, schlage ich kurz mit der Faust auf mein Kissen ein. Wieso komme ich zu nichts? Wieso kann ich dieses Mädchen nicht verstehen? Eine andere Erklärung als Suizidgedanken gibt es, momentan in meinen Augen, nicht. Warum macht sie es sich dann selbst so schwer? Wieso kann sie sich nicht, wie jeder andere Suizidgefährdete, erhängen oder irgendwelche Tabletten schlucken?

Hätte sie es mit Tabletten versucht, müsste ich jetzt nicht hier liegen und meine wertvollen Minuten, in denen ich schlafen könnte, verschwenden. Ich öffne noch kurz die Augen und sehe auf die Uhr. In meinem Kopf rattert es und ich komme zu dem Ergebnis, dass ich ungefähr noch 8 Stunden Schlaf zur Verfügung habe. Unverschämt wenig, wenn man bedenkt, dass mein Körper sonst immer in der Ferienzeit 14 Stunden Schlaf genießt. Wieder schließe ich meine Augen und wieder taucht das Bild von ihr vor meinem inneren Auge auf. Savannah, wie sie so unglaublich wütend im Gang steht und Savannah, wie sie so zerbrechlich und unscheinbar im Bett sitzt. Wie konnte eine Person so viel Wut in sich tragen und das auch noch ausstrahlen, während sie im nächsten Moment wie ein unschuldiger Engel, von dem man nie etwas Böses erwarten könnte, in ihrem Zimmer sitzt? So wütend und dennoch so zerbrechlich.

Vielleicht hat sie ja mehrere Seiten, was so viel heißen würde, dass man bei ihr auch Schizophrenie diagnostizieren könnte? Fifthy Shades of Savannah, würde es wohl als Roman heißen. Gott, dieses Mädchen raubt mir nicht nur meinen Schlaf, sondern auch noch meinen wertvollen Verstand, der sich gerade lachend aus dem Staub macht. Ich vergrabe leicht verzweifelt mein Gesicht in meinem Kissen und komme zu dem Entschluss, dass ich viel zu viele unwichtigen Gedanken habe. Und mit diesem Entschluss falle ich auch endlich endgültig in meinen tiefen, traumlosen Schlaf.

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