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sechzehn / sixteen / seize.-

Es kommt mir vor wie ein Dejavu, als ich so leise wie möglich die Haustüre aufsperre und sie langsam aufstoße, um unentdeckt zu bleiben.

Doch wie es sich oftmals bewiesen hat, komme ich auch dieses Mal nicht unbemerkt davon, als die Flurlampe angeht und meine Mutter in einem Bademantel eingehüllt an ihrer Zimmertür steht. Ihre Augen beobachten stumm meine Bewegungen und es herrscht eine unangenehme Stille, für die ich jedoch unglaublich dankbar bin.

Ich werfe meine Jacke an den gewohnten Platz und laufe die Treppen hoch, ohne ein Wort zu sagen. Ich spüre ihren stechenden Blick noch, während ich mich in mein Bett werfe und mir die Decke über den Kopf ziehe.

Es gibt nichts schöneres, als nach einer langen und durchgemachten Nacht durch die Straßen zu schlendern und nach Hause zu gehen. Auch, wenn das 'nach Hause gehen' so einiges kaputt macht, aber ich genieße es jedes Mal aufs Neue. Die ersten Menschen, die durch die Straßen hetzten um pünktlich zu sein, die ersten Geräusche und die Sonne, die langsam aufgeht.

Nach einem tiefen Seufzer versuche ich einzuschlafen, die Müdigkeit übermannt mich. Aber ich kann nicht schlafen. Zu viele beschissenen Gedanken befinden sich in meinem Kopf, ich frage mich wer das Mädchen war, was mit Savannah ist. Ob ich beide irgendwie wiedersehen kann, wie es dem Mädchen geht, die gerne zersplitterte Liebesgeschichten erzählt.

Ich raufe mir durch die Haare und reibe mir kurz über die Augen. Unten hört man Schritte, Mums Schicht würde in wenigen Minuten beginnen. Die Haustüre knallt hinter ihr zu und ich atme erleichtert auf. „So eine Scheiße", murmele ich und stehe auf.

Mein Magen knurrt, weshalb ich mich dazu entscheide, mir erstmal was zu essen zu holen. Verzweifelt blicke ich in den Kühlschrank, der aber außer Essiggurken und ein paar Scheiben Käse nichts zu bieten hat. Auch unsere Müslibehälter sich leer, von Essen keine Spur.

Man könnte meine Stimmung gut mit komplett angepisst von der Welt und ihren Bewohnern beschreiben, während ich nach meinem Portemonnaie und der Jacke krame und aus dem Haus eile. Das nächste Café befindet sich einige Straßen weit weg, ein kleines Omacafé, kaum besucht aber unglaublich gut. Es hat mir schon öfter das Leben gerettet, als es mir lieb war.

Atemlos komme ich vor dem kleinen Gebäude, bereits geschmückt mit hunderten von Lichterketten an, und stoße die Tür auf. Amy, die kleine, alte Ladenbesitzerin, sitzt wie immer hinter dem Thresen und liest die Tageszeitung. Ihr Kopf hebt sich beim Klang der Glocken, die einen Gast melden, und sie lächelt mich breit an.

„Hallo Austin! Na, mal wieder Hunger?", fragt sie fröhlich und ich nicke grinsend. „Wann denn nicht? Du kannst mir was von deinen Sandwiches und einen Kaffee bringen, Amy", antworte ich höflich und sehe mich im Café um.

Erst jetzt fällt sie mir auf, die hellblonden Haare und der schwarze Kapuzensweater. Ungläubig laufe ich auf ihren Tisch zu, sie sitzt mit dem Rücken zu mir dran.

Wortlos stelle ich mich vor sie und lasse mich auf einen Stuhl am Tisch nieder. Verwirrt sieht sie zuerst auf meine Hände und schließlich blickt sie auf. Sie sieht müde aus, wahrscheinlich ist sie ebenfalls nicht heim gegangen, und tiefe Augenringe zieren ihr Gesicht. Ein weiterer Nachtmensch, der sich nur beim Schein des Mondes entfalten kann. Die Schminke, die sie gestern trug, ist verlaufen und man konnte nurnoch erahnen, dass sie davor geschminkt war. Dennoch ist sie eine der schönsten Mädchen, die mir je unter die Augen getreten ist. Ihre hellgrünen Augen weiten sich, als sie mich erkennt.

„Ach du scheiße, das meinte ich gestern aber nicht mit 'man sieht sich', hm?", murmelt sie und nimmt einen Schluck Cappuccino. Amy hatte ein Händchen dafür, ihn mit Milchschaum und Kakao wie ein kleines Kunstwerk herzurichten.

„Das Schicksal ist eine unglaublich miese Schlampe", antworte ich und sie nickt langsam.

„So Austin, hier dein Sandwich. Ich hatte nurnoch den mit Salami, ich hoffe das passt trotzdem. Und dein Kaffee", meint Amy und stellte mir summend mein Essen auf den Tisch. „Danke dir", gebe ich zurück und lächle sie breit an.

Sie entfernt sich vom Tisch und ich beiße herzhaft in das Sandwich rein. „Austin, so so", schmunzelt das weißblonde Mädchen und ich sehe sie einen Moment durchdringlich an.

„Jetzt schuldest du mir deinen Namen", sage ich, nachdem ich fertig gekaut habe. Sie lacht kurz auf und faltet dann ihre Hände vor sich. Erwartungsvoll blicke ich sie an.

„Auf was tippst du denn?"

„Ich bin nicht gut in sowas, sag es mir einfach", gebe ich augenrollend zurück und beiße nochmals von meinem Sandwich ab.

„Adrianna. Aber du kannst mich auch Ada nennen."

„Ich finde ihn schön. Ist mal was anderes", meine ich achselzuckend. „Also, Adrianna, du schuldest mir ebenfalls noch eine zersplitterte Liebesgeschichte."

Sie lächelt. Sie hat ein schönes Lächeln. „Ada. Nun ja, ich muss dir leider sagen, das hinter meiner Liebesgeschichte nur ein verzweifelter Versuch, eine Liebesgeschichte auf die Beine zu stellen, steckt. Nichts besonderes."

„Wie meinst du das?", frage ich nachdenklich.

„Eine Liebesgeschichte entsteht nicht von heute auf morgen. Es ist ein langwieriger Prozess, der erst nach und nach gesteigert wird. Je länger du an ihr feilst, desto intensiver wird sie. Eine Liebesgeschichte fängt auch nicht mit Liebe auf dem ersten Blick an, eine wirklich ernstgemeinte, für immer haltende Liebe entsteht nur mit der Zeit. Es kann ganz schön frustrierend sein, wenn du mitten im Prozess bist und das ganze dann in die Brüche geht. Es ist bereits so tief, dass du nicht mehr sagen kannst, das du nichts fühlst, aber du weißt auch, dass es nichtmehr geht. Und dann zersplittert es, wie ein Glas, welches du auf den Boden schmeißt." Je länger sie spricht, desto leiser wird sie.

„Interessante Vorstellung von Liebe hast du da. Wieso ist es denn zersplittert?", hacke ich nach. Es tat gut, jemandem zuzuhören. Noch mehr, als würde man selber erzählen.

„Ich schätze, ich bin einfach nicht für die Liebe und der damit zusammenhängenden Geschichte erschaffen worden. Im Gegensatz zu dir." Ich stocke und sehe sie fragend an.

„Wie meinst du das? Wieso ich?"

Lachend schüttelt sie den Kopf. „Oh man, du bist ein Idiot. Du hast sie doch, das Mädchen da."

Hektisch schüttele ich den Kopf. „Nein, verdammt, da läuft nichts. Wieso denkst du das?"

Ihre grünen Augen mustern mich intensiv.

„Du hast deine Worte über sie mit Bedacht gewählt und sie trotz ihre Fehler als tollen Menschen dargestellt. Du hast über sie geredet, als wäre sie der wertvollste Besitz, den du hast."

SavannahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt