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„Ein lauwarmes Wasser bitte. Aber mit Zitrone. Haben Sie Zitronen? Nein? Okay, dann doch lieber einen Cappucino, aber ohne Schoko drauf, das kann ich nämlich gar nicht leiden, das haben die früher nie gemacht. Ach, und einen Kuchen, wo Sie schon gerade da sind, sonst dauert das wieder drei Jahre bis sie kommen und das kann ich wirklich nicht verkraften, nicht nach diesem Tag,..."

Liv war es gewohnt angemeckert zu werden und sie hatte schon die komischsten Szenen miterlebt, aber sich die Lebensgeschichte einer alten Frau anzuhören, das lag nicht in ihrem Aufgabenbereich. Wirklich nicht. Noch dazu an so einem vollen Nachmittag. Es wurde langsam dunkel und draußen nieselte es, was die Leute anregte lieber im Warmen zu bleiben und das kleine Café sah ziemlich einladend aus, das musste sie zugeben. Deswegen hatte sie sich ja auch hier beworben. Wenn man schon arbeitete, dann an einem Ort, an dem man sich wohlfühlt, hatte sie sich gedacht und Gott sei Dank die Stelle bekommen.

Die Frau redete immer noch. Liv atmete tief durch und dann ratterte sie, ohne auf die Frau zu achten, das gesamte Kuchen- und Tortenangebot herunter. Die Dame war sichtlich verwundert, aber entschied sich trotzdem ziemlich schnell für ein Stück Käsekuchen.

Liv nickte und konnte sich hinter der riesigen Kaffeemaschine verstecken. Sie liebte ihren Nebenjob, keine Frage. Sie liebte das Café mit den vielen Pflanzen auf den Fensterbänken, dem schummrigen Licht, dem Geruch nach frisch gemahlenen Kaffeebohnen und die schönen großen Kaffeetassen aus denen sie selbst ziemlich gerne und deswegen viel zu viel trank. Es erinnerte sie an ihr eigenes Zimmer, deswegen fühlte sie sich hier auch so wohl und kam auch so gerne her.

Aber an manchen Tagen – so wie heute- würde sie lieber mit den Gästen die Rolle tauschen und sich mal bedienen lassen. Kaffee trinken, in einem der Ohrensessel verschwinden und zeichnen. Aber nein, nicht heute.

Dann war da noch das Schlamassel Zuhause, was ihr keine Ruhe gab. Sie hatte nie wirklich Probleme Zuhause gehabt, außer die üblichen Streitereien eben, vor allem mit ihrer Mutter. Aber gut, so war das nun Mal.

Gut, ihre Mutter war vielleicht etwas zu fürsorglich und besorgt und mit ihrem Vater verstand sie sich auch wunderbar, aber seitdem sie mit der Schule fertig war, war eine ziemlich große Kluft zwischen ihr und ihren Eltern entstanden. Liv wollte Kunst studieren, ihre Kunstlehrerin hatte sie förmlich dazu gezwungen. Liv, du musst dein Talent nutzen! Dir stehen so viele Türen offen, es wäre eine Schande, wenn du das einfach wegwerfen würdest, hallte es immer und immer wieder in ihren Ohren nach. Aber ihre Eltern hielten das eben für eine Brotlose Kunst und wollten sie lieber in einem weißen Arztkittel vor sich sehen, was in Liv innerliche Krämpfe entstehen ließ, denn sie konnte sich nichts schlimmeres vorstellen, als kranken Kindern in die Mäuler zu leuchten.

Während Liv sich eine schwarze Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte hinter ihr Ohr strich, versuchte die den Schmerz, der in ihr aufkam herunter zuschlucken. Es tat weh, aber so war das nun mal. Sie konnte einfach nicht verstehen, warum ihre Eltern so blind waren und nicht sahen, was ihr wichtig war und was sie wirklich konnte.

Zwei Wochen hatte sie sich gegeben, dann würde sie sich entscheiden. Zwei verdammte Wochen, dann hatte sie hoffentlich Ruhe. Trotzdem türmten sich jetzt schon die Umzugskartons in ihrem kleinen Zimmer und still und heimlich hatte sie sich schon längst für den Kunststudiengang eingeschrieben. Sie musste es nur noch ihren Eltern schonend beibringen.

„Hey hey, hey! Pass doch mal auf Liv. Was ist denn nur heute los mit dir?"

James riss sie zum Glück rechtzeitig aus den Gedanken, denn die geschäumte Milch begann aus der Tasse zu laufen und sie hatte nur gedankenverloren aus dem Fenster gestarrt und die Tropfen an der Scheibe beobachtet.

Ultramarinblau #yellowaward2019Where stories live. Discover now