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Es war zum verrückt werden.

Keiner der zwei wachhabenden Polizisten nahm sie nur ein Stückchen ernst. Kein einziger. Dick und Doof - so hatte sie die beiden nun getauft, auch wenn keiner der beiden dick war, doof waren sie dafür für eine ganze Fußballmanschaft- waren auch wenig interessiert an ihren Beschreibungen, und so musste sie die ganze Geschichte doppelt und dreifach erzählen, weil immer einer nicht zuhörte. Was machten die hier nur, wenn mal etwas wirklich schlimmes passierte? Wenn es Tote gab? Liv seufzte tief. Die Polizei dein Freund und Helfer- haha.

Dann war es auch noch so unglaulich stickig in dem Büro und Liv schwitzte und war wahrscheinlich schon längst rot wie eine Tomate im Gesicht, auch wenn sie ihren dicken Mantel schon ausgezogen hatte. Jetzt versuchte sie gerade ihnen das zu erklären, wofür sie selbst keine Erklärung hatte und - das musste sie zugeben- das, was am unglaubwürdigsten von allem war; und zwar, dass Vic eine Nachricht von ihrem Handy bekommen hatte, obwohl sie ihr keine geschrieben hatte. Dadurch klang ihre gesamte Geschichte wie ausgedacht.

"So, Sie sagen also, sie hätten keine Nachricht geschrieben, verstehe ich das richtig?"

"Ja genau. Irgendjemand anderes muss die Nachricht verschickt haben, das kann ich mir doch auch nicht erklären." Verzweifelt pustete sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie war so beschäftigt damit die beiden Polizisten von der Wahrheit ihrer Geschichte zu überzeugen, dass sie nicht merkte, wie ein blonder junger Mann in Anzug auf einem Wartestuhl Platz nahm und sie ungeniert anstarrte. Sein Blick gleitete erst über ihre Hände zu ihrem Mund und blieb schließlich an ihren Augen hängen.

Der Polizist seufzte, kratze sich an der Glatze und sah seinen Kollegen kurz mit einem vielsagenden Blick an, dann wendete er sich wieder an Liv.

"Okay, hör mir zu meine Liebe. Ich glaube du bist tatsächlich ein wenig... verwirrt. Möglicherweise hast du in diesem Hinterhof was mitbekommen was du nicht solltest - was eigentlich selbstverständlich ist, denn man schnüffelt nicht in den Höfen fremder Menschen herum- aber die Geschichte mit der SMS... klingt für mich doch sehr unglaubwürdig. Also wir beide hier- " er deutete auf sich und seinen Kollegen " - wir schreiben uns das auf, ja?", sein Kollege nickte eifrig und begann lose Wörter auf ein Blatt zu kritzeln, was genauso gut auch eine Einkaufsliste für seine Frau hätte sein können "Und falls die Frau sich meldet, dann... rufen wir dich an und du kannst eine Zeugenaussage machen. Und jetzt gehst du nach Hause und schläfst erstmal."

Dann halt nicht. Dann würde sie das selbst klären. Ohne ein Wort zusagen drehte sie sich um und verließ das Gebäude. Was für Arschlöcher. Schwungvoll stieß sie die Türen zur Seite und genoss die kalte Luft, die ihr entgegen kam. Das konnte doch nicht sein. Wirkte sie tatsächlich so unehrlich, dass selbst die Polizei ihr nicht glaubte? Sie war siebzehn, eine junge hilflose Frau! Wie konnte man sie einfach so abwimmeln? Sie war so frustriert und sauer, dass sie fast nicht mitbekam, wie ihr der junge Mann hinterher lief und immer wieder ihren Namen rief. Er rannte um ihren Vorsprung und ihren schnellen Schritt einzuholen, aber erst als er direkt hinter ihr stand und sie beide der Schulter griff, drehte sie sich um. Sofort ließ er sie los, als hätte er sich verbrannt. Verwirrt schaute er erst auf seine Hände, dann in ihre Augen.

"Liv?", fragte er außer Atem und fuhr sich durch die zerzausten Haare.

Ach. Du. Meine. Güte. Sie war deutlich verwundert. Es kam immerhin nicht oft vor, dass ein Typ - noch dazu ein ziemlich schnuckeliger Typ in weißen Hemd- hinter einem her rannte. Nervös fragte sie sich wo er auf einmal herkam, sie hatte ihn natürlich nicht gesehen, als er bei der Polizei auf sie wartete. Verwirrt blickte sie in sein viel zu perfektes Gesicht und vergaß völlig ihm zu antworten.

"Hi."

Seine Stimme war rau und er räusperte sich. Fuhr sich nochmal durch die Haare.

Was mache ich jetzt. Hilfe.

"Hi?" Fragend sah sie ihn an und schob sich die Haare aus dem Gesicht um ihn besser zu beobachten.

Was wollte er? Woher kannte er ihren Namen?

Unschlüssig starrte er sie an, schob seine Hände tief in die Hosentasche und schaute und schaute einfach nur. Langsam wurde Liv ratlos. Vielleicht hatte sie was im Gesicht? Hastig fuhr sie sich mit der rechten Hand erst über das Gesicht, dann durch die Haare. Als er immer noch nichts sagte, setzte sie an um ihn zu fragen was er wollte. Im gleichen Moment hatte er allerdings auch den Mund geöffnet und als er sah, dass sie auch was sagen wollte, stieß er einfach nur die Luft aus seinem Mund. Liv beobachtete das kleine Wölkchen, dass dabei entstand und wartete.

"Bitte. Du zuerst.", sagte er zögerlich lächelnd während er versuchte sich die Kälte, die in seinen Körper kroch nicht anmerken zu lassen. Wer läuft denn bei so kalten Temperaturen auch in diesen Klamotten herum?

"Ähm..." Nervös hüpfte sie von einem auf das andere Bein. Gott, warum war sie denn aufeinmal so verkrampft. Das war doch gar nicht ihre Art.

Der junge Mann sah sie schief von der Seite an. Verkrampft rang sie sich ein Lächeln ab.

"Meine Mutter sagt ich darf nicht mit Fremden reden... also geh ich jetzt lieber." Panisch stieß Liv ein Lachen hervor, was mehr einem pubertären glich und lief dann hastig an ihm vorbei. Natürlich in die falsche Richtung. Der verwirrte Junge wollte sie gerade aufhalten - zumindest sah es so aus und Liv hatte es sich beinahe gewünscht - da drehte sie sich auf dem Absatz um und lief schnellen Schrittes davon. Im Vorbeigehen murmelte sie noch ein leises "Tschüss und schönen Tag noch." und versteckte ihr wahrscheinlich feuerrotes Gesicht in ihrem dicken Schal. Gott, das war peinlich. Was war nur mit ihr los. Der Junge hatte sie völlig überfordert. Das mussten noch die Nachwirkungen des Angriffs auf sie sein. Anders jonnte sie es sich nicht erklären. Klar, sein gutes Aussehen und seine ganze Art hatte sie irgendwie... nervös gemacht.

Schnell lief sie die Straße entlang und bog an der nächsten Ecke ab. Von hier war es nicht mehr weit bis nach Hause. Das Gespräch mit ihm hatte höchstens ein paar Minuten gedauert und hatte sich gleichzeitig angefühlt wie eine halbe Ewigkeit.

Vergiss es Liv, Dachte sie sich als sie die Tür aufschloss, du siehst ihn wahrscheinlich nie wieder und das ist auch besser so. Für euch beide. Nach dieser peinlichen Situation, die sie da zustande gebracht hatte war das wirklich, wirklich besser.

Nur ein kleiner, klitzekleiner Teil in ihr hoffte auf das Gegenteil.

Ultramarinblau #yellowaward2019Where stories live. Discover now