Sie konnte es nicht glauben. Völlig erstarrt blickte sie zu dem kleinen Tischchen und den zwei Sesseln herüber. Sie hätte nie erwartet den Typen - Adam, er hieß Adam - wieder zu sehen. Die Geschichte war sowieso schon peinlich genug für sie, doch dass er jetzt noch darum herumgeritten war, machte es nicht besser. Generell schien es ihr so als hätte sie sich in ihrer Erinnerung ein anderes Bild von ihm gemacht und war enttäuscht von der Realität, der sie nun gegenüber stand. Letztes Mal war er so viel netter gewesen. Aber gut, was erwartete sie? Nach ihrer absolut schrecklichen Abfuhr wäre wahrscheinlich jeder so drauf wie er es jetzt war. Neben ihrer unglaublichen Scham beunruhigte sie der Dreadlockmann noch viel, viel mehr. Sie konnte kaum in sein Gesicht sehen, das in ein angeregtes Gespräch mit dem blonden Lockenkopf vertieft war, ohne an die unglaubliche Angst zu denken, die sie verspürte hatte, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Ihre Hände zitterten schon wieder wie verrückt und sie konnte die Tassen kaum gerade halten. Hilfesuchend sah Liv zu James rüber. Der war aber gerade dabei ein Schaumherz in einen Cappuccino zu zaubern und rief ihr nur "Nicht so betrübt schauen Prinzesschen!" zu und nickte ihr grinsend zu. Als James das Wort "Prinzessin" ausrief konnte Liv deutlich aus dem Augenwinkel sehen, wie der blonde junge Mann mit seinem Kopf in ihre Richtung schnellte. Bevor er sie wieder so merkwürdig anschauen konnte, bückte sie sich unter die Theke um neue Kekse zu holen. Und dann konnte es nicht mehr aufschieben, sie musste ihnen ihren Kaffee bringen, ob sie wollte oder nicht.

Nervös umkurvte sie die vielen kleinen Tischchen und Sessel mir ihrem Tablett in den Händen. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie Angst hatte der Kaffee würde überschwappen. Die leise Musik im Hintergrund vermittelte eine völlig falsche, positive Stimmung. Als sie angekommen war räusperte sie sich kurz um die beiden aus ihrem Gespräch zu reißen. Ruckartig hoben sie die Köpfe und blickten nun beide abwertend in ihr Gesicht. Den Dreadlockmann versuchte Liv dabei gekonnt zu ignorieren und nebenbei die Röte aus ihrem Gesicht zu verbannen.

"Ihr Kaffee.", sagte sie und stellte das Tablett ab. "Danke und schönen Tag noch."

Sie drehte sich um und war froh das hinter sich zu haben. Doch bevor sie auch nur einen Schritt gehen konnte, hielt sie eine warme Hand am Arm fest.

"Bleiben Sie doch noch ein Weilchen und leisten uns ein wenig Gesellschaft, Liv. Wir hätten hier noch ein Plätzchen frei." Der Dreadlockmann. Mit dieser Hand hatte er das Chloroform in ihr Gesicht gerieben. Hastig drehte Liv sich um und versuchte das Gefühl von aufkommender Übelkeit zu bekämpfen, welches bei dieser Berührung entstand.

"Vielen Dank, aber ich muss weiter arbeiten.", sagte sie bestimmt und versuchte ihre Stimme dabei nicht allzu zittrig klingen zu lassen. Wo war nur all ihr Mut hin? Vor ein paar Tagen hatte sie es noch mit dem Dreadlockmann alleine aufnehmen wollen und jetzt traute sie sich nicht einmal einen Kaffee zu servieren. Dabei hatte sie doch so viel vorgehabt. Die Polizei anzurufen zum Beispiel. Sie hatte lächerlicherweise sogar Pfefferspray in ihrer Tasche. Da lag es natürlich gut. Das lag alles nur an dieser Nachricht, die heute morgen vor der Tür lag, das hatte sie komplett verunsichert.

"Bitte.", sagte er erneut, sah sie genervt an und deutete auf den Stuhl. Die Hand lag immer noch auf ihrem Arm und drückte immer fester zu. "Adam sag doch auch mal was, immerhin seid ihr zwei euch doch schon bekannt... nicht wahr?", sagte er und zwinkerte mit falschem Lächeln im Gesicht.

"Setz dich Liv." Adam brummte die Worte mehr als das er sie sagte und blickte ihr dabei mit leerem Gesicht in die Augen. Dass Liv bei der komischen Bemerkung des Dreadlocksmann Tomatenrot anlief, schien ihn keines Wegs aus der Bahn zu werfen. Liv riss ihren Arm los und setzte sich an die äußerste Kannte des Plüschsessels. Jeder der Gäste müsste eigentlich sehen, wie unwohl sie sich fühlte und sie betete zu Gott - obwohl sie kein bisschen gläubig war - dass James sie bald rufen würde.

"Was wollen Sie?" Liv musste wenigstens nach außen hin stark wirken, keiner der beiden sollte denken, sie sei gerne hier. Der Dreadlockmann musste natürlich wissen wer sie war und war sicher wütend auf sie, weil sie ihn auf frischer Tat ertappt hatte. Und dieser Adam schien mit ihm unter einem Hut zu stecken, demnach war er also auch wütend auf sie sein. Toll, wirklich toll. Wahrscheinlich war die Nachricht von ihnen gewesen. Sie waren wütend, gut, dann würde sie sich eben entschuldigen und fertig. Ende der Geschichte.

"Reden. Über dich. Und uns." Der Dreadlockmann lächelte hämisch.

Liv wartete bis einer der beiden weitersprach. Doch Adam starrte ausdruckslos in seine Tasse.

"Aha." Niemand antwortete. Okay, sie würde sich jetzt schnell entschuldigen und dann diese Männer für immer vergessen.

"Es tut mir leid, falls ich vor ein paar Tagen ihren Raubüberfall oder kriminellen Geschäfte oder was auch immer das war - ich wills gar nicht wissen - gestört habe. Aber ich habe mich sehr um die alte Frau gesorgt, wissen Sie meine Oma ist auch sehr alt gewesen als sie starb und ich vermisse sie und konnte nicht anders als nach dieser alten Frau zu sehen. Und ich schwöre Ihnen ich hab sie nicht belauscht oder hab irgendwelche Infos. Ich schwöre. Bitte lassen sie mich in Ruhe und auch meine Familie und Freunde. Es kommt ganz, ganz, ganz sicher nie wieder vor. Sorry."

Liv hatte sich so hineingesteigert und sogar die Geschichte mit ihrer Oma erfunden, denn sie war gar nicht tot, sondern lebte freudig in ihrem kleinen Häuschen vor sich hin und strickte gerade wahrscheinlich Wollsocken, aber irgendwie musste man ja ihre Verfolgungsaktion erklären. Doch als sie geendet hatte fiel der Dreadlocktyp nur in ein lautloses Gelächter, welches durch seinen ganzen Körper zog und Adam schüttelte nur den Kopf und musterte sie schon wieder mit diesem Blick. Verwirrt wickelte sie sich eine schwarze Strähne um den Finger. Hatte sie sich gerade wirklich bei Gangstern entschuldigt? Natürlich würden sie das nicht einfach so hinnehmen, was dachte sie sich denn? Dann endlich hatte sich der Dreadlocktyp beruhigt.

"Ich wollte mich dafür entschuldigen." Liv war noch verwirrter. "Ich konnte ja nicht wissen um wen es sich bei dir handelt. Hätte Adam mir mal früher Bescheid gesagt, dass er dich gefunden hat, wäre das alles nicht passiert." Er warf Adam, welcher sich im Sessel zurückgelehnt hatte, einen mahnenden Blick zu. "Es tut mir leid. Aber jetzt können wir ja alles klären und besprechen, denn es liegt viel vor uns."

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