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Liv rannte ihnen nach, bog ebenfalls nach rechts ab und duckte sich im nächsten Moment hinter ein geparktes Auto, denn der Dreadlock-Mensch war stehen geblieben und um sich umzusehen. Einen kurzen Moment dachte sie, er hatte sie gesehen, aber dann lief er unbeiirrt weiter. Auch Liv stand wieder auf, blieb aber geduckt und hastete von Auto zu Auto. Gott sei Dank regnete es immer noch in Strömen und es war niemand mehr auf den Straßen, denn das musste sicher ein lustiger Anblick sein.

Vielleicht war die Frau gar nicht in Schwierigkeiten und sie machte sich unnötige Sorgen, mischte sich wahrscheinlich sogar in etwas ein, das sie gar nichts anging? Vielleicht. Sicher war eben sicher. Und außerdem rannte die arme Frau hinter ihm her wie ein kleines Hündchen mit zu kurzen Beinen und hatte scheinbar Schwierigkeiten mitzukommen, trotzdem blieb sie nicht stehen, oder versuchte ihm klar zu machen, dass sie nicht mehr konnte und dem Mann war sie jetzt scheinbar auch egal.

Der Mann bog in eine kleine Gasse und die beiden waren in einem Hinterhof verschwunden. Sollte sie ihnen folgen, oder sollte sie nicht? Drei Sekunden rang sie mit sich selbst, dann schlich sie sich im Schatten der Häuser durch den Gang. War das dumm gewesen? Egal, es war jetzt ohnehin zu spät, denn schon befand sie sich hinter unzähligen Papierkartons und einer großen,blauen Mülltonne. Im Augenwinkel vernahm sie eine Bewegung, doch als sie sich umdrehte sah sie nichts. Das war sicher nur Einbildung gewesen, das machte die Aufregung, das ganze Adrenalin.

Jetzt konzentrierte sie sich lieber auf die Unterhaltung, die sich im Hinterhof abhielt. Der Mann zischte unverständliches Zeug und die Frau wimmerte immer wieder "Aber ich weiß doch nichts! Mein Mann spricht nicht mit mir darüber!"

Was ging da nur vor sich? Liv musste unbedingt sehen was dort geschah, vielleicht sogar ein paar Bilder machen, dann zur Polizei gehen. Jetzt war nämlich klar, dass es sich um kein Oma-Enkel-Gespann hielt, nein, diese alte Frau wurde bedroht, und zwar von einem ziemlich aufgebrachten Schurken. Langsam, darauf bedacht möglich wenig zu rascheln, kroch Liv weiter nach vorne, so, dass sie besser hören und sehen konnte.

Der Mann stand mit dem Rücken zu ihr, aber Liv war sich sicher, dass er noch wütender aussah, als gerade eben, falls das denn überhaupt möglich war. Die Dame hielt sich schützend die Arme vor den dicken Bauch und schaute ängstlich umher.

"Ich weiß wirklich nicht was sie von mir wollen-", sagte sie leise, "-ich bin doch nur eine alte Frau. Und wie sie sicher wissen, kann ich meinen Mann nicht mehr fragen was auch immer sie wissen wollen."

"Ich weiß, dass sie etwas wissen. Irgendwas. Er kann doch nicht einfach verschwunden sein." Der Mann hatte eine tiefe, kratzige Bassstimme, die mit jedem Wort lauter zu werden schien.

"Mein Mann redet nicht mir darüber. Er sagt es ist besser, wenn ich nichts weiß.", die Frau wischte sich übers Gesicht und wimmerte leise.

"Hören Sie auf mit dem Theater! Ich glaube Ihnen nicht, kein wort, ich weiß es nämlich besser!", brüllte der Mann und ballte die Hände zu Fäusten. Das würde nicht gut enden. Gar nicht gut.

"Aber wenn Sie es doch wissen, warum lassen Sie mich nicht in Ruhe?"

Das brachte den Mann aus dem Konzept, denn eine Weile sagte keiner was und man sah nur wie er wütend gegen die Kartons trat. Genau da wo Liv vorher gesessen hatte. Dann meldete er sich wieder zu Wort. Ungewohnt beherrscht diesmal. Wie ein Vulkan, der gleich zu explodieren drohte.

"Weil, meine Liebe-", presste er hervor und trat näher an die Frau heran, "ich jetzt deswegen in der Scheiße stecke. Und ich beweisen muss, dass ich damit nichts zu tun habe. Aber wie Sie sehen, ist das gar nicht so einfach."

Liv verstand gar nichts mehr. Der Ehemann war nicht zu sprechen. Im Gefängnis vielleicht? Verschwunden. Und der Mann musste etwas beweisen. Vielleicht die Unschuld des Ehemannes? Aber warum, warum nur? Auch die Frau schien verwundert zu sein.

"Aber ich kann Ihnen nicht helfen, das sehen Sie doch! Ich wüsste auch gerne wo er steckt, wirklich...", versuchte sie ihn ein letztes Mal zu beruhigen. Liv musste was machen, unbedingt, aber was? Sie war machtlos gegen diesen Riesen. Aber die Frau konnte sie auch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, sie hatte schon zu viel gehört.

"Okay, wenn Sie mir nicht helfen wollen, helfe ich Ihnen mal. Und zwar zu vergessen."

Er holte ein Fläschchen heraus und Watte. Chloroform. Das musste es sein, wie in den unzähligen Filmen, die sie mit ihrer Freundin Vic immer schaute. Er wollte die Frau bewusstlos machen. Vielleicht sogar töten, denn das konnte bei einer Überdosis schnell passieren. Die alte Dame hatte den Sinn der Flasche nun auch verstanden und wich verängstigt zurück.

"Nein, nein. Bitte nicht, das muss doch nicht sein. Wem sollte ich denn was erzählen?"

"Doch das muss es, denn Sie werden sicher zur Polizei marschieren und das wollen wir ja nicht, oder? Ihr Mann würde das auch nicht gut finden. Und falls Sie doch auf die Idee kommen sollten; ich weiß wo Ihre Kinder wohnen, wo Ihre Enkelkinder zur Schule gehen. Ich mache sie alle kalt, wenn sie nur einen Pieps von sich geben."

"Ich sage nichts, ich schwöre es. Und bitte, bitte halten Sie meine Familie daraus!"

Es half alles nichts. Der Mann präparierte weiter die Watte und ging schließlich damit auf die Frau los. Gefasst und ruhig, als wären seine Ausraster vorher nur ein böser Traum gewesen.

"Sagen Sie Gute Nacht, Omi.", seuselte mit heuchlerischer Stimme. Das war der Moment, in dem sie was tun sollte. Unbedingt, auch wenn sie selbst mit drauf ging. Dann hatte sie wenigstens nicht tatenlos zu gesehen.

Liv sprang mit so einem Lärm aus den Müllberg, dass sich sowohl der Mann, als auch die Frau so sehr erschreckten, dass sie zusammen zuckten.

"Nein! Lass die Frau in Ruhe! Überhaupt was soll das denn?!", schrie Liv und versuchte besonders gefährlich zu klingen. Der Mann hatte sich umgedreht und hatte ein überhebliches Gewinnergrinsen im Gesicht. Jetzt ging er auf sie zu.

"Oh, wie ich sehe haben wir Besuch. Na gut Kleine, wenn du auch unbedingt im Nimmerland landen willst, bitte, das Chloroform reicht für euch beide." Er zuckte mit den Schultern und sprang auf einmal auf sie zu. Die Frau kreischte, doch es half alles nichts mehr, die Watte war schon an ihrer Nase. Liv strampelte, bekam ihr Gesicht frei und schrie die Frau mit letzter Kraft an.

"Rennen Sie! Holen Sie Hilfe!"

Ihr Blickfeld verschwamm immer mehr, obwohl der Dreadlocks-Mann sie längst losgelassen hatte. Ihre Knie wurden weich und sie sank langsam auf dem Boden zusammen, bis sie mit dem Kopf auf dem nassen Asphalt lag. Verschwommen nahm sie war, wie sich eine weitere Person in ihr Sichtfeld schob, groß, bestimmt hatte die alte Frau Hilfe geholt. Bestimmt.

Wie durch einen Tunnel hörte sie eine aufgebrachte Stimme, die den dunkelhäutigen Mann, der nur noch ein schwarzer Fleck in einem Strudel von Farben war, zurecht wies. Hektisch gerufene Wörter, zu schnell, zu viel auf einmal. Es wurde alles gut werden. Die Frau war gerettet.

Dann wurde es schwarz.

Ultramarinblau #yellowaward2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt