27 - Kleine Schritte

466 69 74
                                    

Hoffnung kostet nichts

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.

Hoffnung kostet nichts.
- Colette -

ZUHAUSE IST ES STILL und das Schweigen, das ich in den letzten Monaten freiwillig gewählt habe, in das ich mich gehüllt habe, von dem ich sogar zugelassen habe, dass es mich vollends ausfüllt, ist zum ersten Mal genau das, was ich am aller wenigst...

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.

ZUHAUSE IST ES STILL und das Schweigen, das ich in den letzten Monaten freiwillig gewählt habe, in das ich mich gehüllt habe, von dem ich sogar zugelassen habe, dass es mich vollends ausfüllt, ist zum ersten Mal genau das, was ich am aller wenigsten möchte. Ich will Krach und laute Musik und bebendes Lachen und ich will meinen Herzschlag in der Ohrmuschel widerhallen hören, möchte das Leben auf der Zunge schmecken. Stattdessen schließe ich die Wohnungstür hinter mir, weiß, dass ich alleine bin. Dad hat erst später abends Feierabend, würde erst in ein bis zwei Stunden Feierabend machen, dazu

kommt noch der Weg nach Hause und der Verkehr. Und Mom hat eine Nachtschicht im Krankenhaus. Manchmal hasse ich es, dass sie Krankenschwester ist, dass sie so viel arbeiten muss.

Nicht nur in ihrem Beruf; in gewisser Weise hat sie ständig eine gewisse Arbeit auszuführen. Bei ihr im Krankenhaus kümmert sie sich um verletzte Körper und Zuhause um verletzte Seelen.

Heute kommt mir diese Ruhe so erdrückend vor, als hätten all die ungesagten Worte beschlossen, mich heute zu erdrücken, als hätten sie sich zusammengetan, nur um in einem untragbaren Gewicht auf meinen Schultern zu lasten. Ich hasse diese Stille, hasse sie jetzt gerade so, so sehr. Um etwas dagegen zu unternehmen, um nicht wahnsinnig zu werden, verbinde ich mein Handy mit der Bluetooth-Box und lasse Musik so laut durch jeden Raum unserer kleinen, beengten Wohnung schallen, dass ich mir sicher bin, spätestens in dreißig Minuten erste Beschwerden von unseren Nachbarn zu erhalten. Es ist mir egal.

In meinem Zimmer schlüpfe ich aus meiner Jeans und dem einfachen, grauen Sweater in einen gigantischen Hoodie, den ich Dad vor Jahren aus dem Schrank geklaut und nie zurückgegeben habe und in eine weiche Baumwollshorts. Das leere Bett auf der anderen Seite des Zimmers macht mich wahnsinnig, zu wissen, dass meine Schwester dort eigentlich hätte sitzen sollen, dort laut mit Caspian hätte telefonieren sollen.

Wie oft nur habe ich mich als kleines Kind und auch in den letzten Monaten darüber aufgeregt, mir ein Zimmer mit meiner Schwester teilen zu müssen? Wie oft habe ich die finanziell eher bescheidene Situation meiner Eltern verflucht und mir insgeheim gewünscht, wir hätten das Geld, um in eine größere Wohnung ziehen? Und wie viel würde ich jetzt nur dafür geben, mich über Theodosia beschweren zu können? Darüber, dass sie zu laut telefoniert oder dass sie ihre Tanzsachen auf meiner Hälfte des Zimmers abgelegt hat. Wie oft habe ich früher die Linie aus Nagellack nachgezeichnet, die unser Zimmer in genau zwei gleichgroße Hälften teilt. Wobei, nein, das stimmt nicht ganz. Ich habe früher beim Ausmessen geschummelt und habe in Wahrheit einen drei Zentimeter größeren Teil.

LOVE LETTERS TO A STRANGERWhere stories live. Discover now