Liebesbriefe an einen Fremden.
»Wer bist du, hinter dem Blau deiner Tinte und dem Kratzen deines Stiftes? Wer bist du, wenn die Tinte verblasst und all unsere kleinen Briefe nichts als ein Nachhall vergangener Zeiten sind?«
Honey Ambrosé ist stumm...
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Es gibt so viele Leute auf der Welt und so wenig Menschen. - Alfons Petzold -
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DAS KLINGELN ZUM ENDE des Unterrichts zerschneidet die angespannte Stille; jeder erwartet das Ende des Mathe-Leistungskurses. Ebenso wie ich, ich will so schnell wie möglich einen riesigen Abstand zwischen mich und jegliche Zahlen und Terme bringen. Mit flinken Bewegungen verstaue ich meine Bücher und den Block, den ich zum größten Teil mit Randverzierungen geschmückt habe, in meiner Tasche.
Ich gehe raus ...
Halte den Blick gesenkt ...
Schaue mich um ...
Und sehe ihn.
Ihn, wie er dort steht, seine Präsenz, die sich für mich sofort aus dem Gewusel aller anderen um uns herum hervorhebt. Ich konzentriere mich auf ihn, wie er mit seinen schmerzlich schönen Augen vor mir steht. Tiefbau, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Wie die Farbe des Zwielichts, bevor die letzten Strahlen der Sonne verblassen und die Nacht über uns hineinbricht. Marineblauer Samt, in dem silberne Sterne glitzern, leichte Andeutungen von violett an den Rändern der Iris und ein rosiger Hauch eines sanften Orangetons.
In seiner Gegenwart werde ich schwach, werde zu einem kleinen, dummen Mädchen. Gleichzeitig werde ich zu der Person, die ich vor Violets Tod war.
Und doch... Ist es anders.
Es ist, als würde Silas Anwesenheit das Beste aus meinem vorherigen Ich, meiner unspektakulären, oberflächlichen Persönlichkeit herausbringen und mit der tiefsinnigen, nachdenklichen Honey, die ich jetzt bin, verbinden.
Silas, spürst du es auch? Die sprühenden Funken, die elektrische Spannung. Du musst nicht einmal etwas tun. Es ist, als wäre da eine Art Band zwischen uns; und wir erkennen das, was unsere Augen nie sehen konnten jetzt mit dem Herzen.
»Du musst mir noch beweisen, dass du besser kochen kannst, als meine Mutter«, sagt er breit lächelnd. Ich nicke, ebenfalls lächelnd, vorfreudig, geladen.
»Den Weg zu dir kenne ich ja jetzt schon. Auch wenn ich mich ehrlich gesagt nicht mehr wirklich an ihn erinnern kann«, lacht er. »Müssen wir noch etwas einkaufen?«
