16 - Sich verlieren

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Ich habe mich stets gewundert, warum jeder sich selbst am meisten liebt,aber seines Nachbarn Meinung über sich höher schätzt als seine eigene

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Ich habe mich stets gewundert, warum jeder sich selbst am meisten liebt,
aber seines Nachbarn Meinung über sich höher schätzt als seine eigene.
- Marc Aurel -

ALS ICH AN DIESEM NACHMITTAG nach Hause komme, ist tatsächlich jeder zu Hause, was nicht gerade oft vorkommt

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ALS ICH AN DIESEM NACHMITTAG nach Hause komme, ist tatsächlich jeder zu Hause, was nicht gerade oft vorkommt. Meistens arbeitet Mom bis in die Nacht, weil sie im Krankenhaus Überstunden aufgebrummt bekommt. Oder Theodosia trifft sich, wenn sie gerade Mal nicht im Ballettstudio trainiert, mit ihrem Freund Caspian. Er soll heute Abend auch zu uns stoßen, zwar erst etwas später, da er noch irgendwas für die Uni zu tun hat. Er ist vermutlich auch der Grund, warum Mom und Dad beide schon in gespannter Aufregung sind.

»Das könnte dein zukünftiger Schwiegersohn sein!«, tadelt Mom ihn, »also wehe du verjagst ihn schon in den ersten paar Minuten mit deinen forschen Fragen!«

Auch Theodosia wirkt aufgekratzt, als ich unser Zimmer betrete und meinen Rucksack von meinen Schultern auf den Boden gleiten lasse. »Ich hoffe, Dad mag ihn. Er sah so wütend aus, als ich Mal erwähnt habe, dass wir vielleicht über's zusammenziehen nachdenken.«

Wie alle um mich herum schon jemanden gefunden haben. Jemanden, der sie liebt. Jemanden, der ihren Schmerz erkennt. Jemanden, der ihn ihr nimmt, nur damit sie glücklich ist. Wie alle eine Person für's Leben gefunden haben. Ob Freund oder Geliebter. Und ich nichts anderes tue, als die eine Person, die ich wie die Luft zum Atmen brauche, zu nehmen. Und alle anderen zu halten, auf Distanz.

Theodosia redet munter weiter, ich horche erst auf, als sie meinen Namen eindringlich und mit Nachdruck ausspricht. »Honey? Alles okay bei dir?« Ich sage nichts, zwinge mich zum Nicken. Ja. Mit mir ist alles okay.

»Also, kannst du etwas kochen? Mom hat extra eingekauft.«

Wieder nicke ich.

»Super!«, ruft meine große Schwester, erhebt ihren Körper vom Bett, klatscht in meine Hände und hüpft munter auf ihren Schrank zu. Der Pullover schlackert an ihren dünnen Armen. Ich tausche meine Jeans und den Pullover gegen eine Jogginghose und ein weites T-Shirt, das ich beim Kochen auch schmutzig machen kann. Meine Haare binde ich zu einem unordentlichen Knoten, ehe ich in unser Wohnzimmer trete.

LOVE LETTERS TO A STRANGERWhere stories live. Discover now