Fünf [Deu]

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 Sicher, dass er heute die morgendliche Verabredung mit Alice ausfallen würde, ging Eric hinüber zu dem kleinen Schuppen in ihrem Vorgarten

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Sicher, dass er heute die morgendliche Verabredung mit Alice ausfallen würde, ging Eric hinüber zu dem kleinen Schuppen in ihrem Vorgarten. Um wirklich sicher zu sein, dass er seinen Schulweg nicht mit Alice gehen musste, hatte Eric den ganzen gestrigen Nachmittag damit verbracht, sein altes Fahrrad wieder herzurichten. Entspannt konnte er es heute aus dem Schuppen holen und stieg auf. Es war schon Jahre her, seit er das letzte Mal darauf gefahren war. Daher wirkten die ersten Meter etwas unbeholfen. Erst nach etwas fünfzig Metern hatte er wieder ein sicheres Gefühl im Sattel und strampelte los. Das Fahrrad war als Fluchtmöglichkeit gedacht, doch jetzt gefiel es Eric damit im Fahrtwind zur Schule zu kommen, ohne in dem lauten, stickigen Bus zu sitzen.

Gerade hatte er die Straße verlassen und war an der Bushaltestelle vorbeigefahren, da holte neben ihm ein zweites Fahrrad auf. Doch anstatt zu überholen, hielt es die gleiche Höhe wie Eric. Als der Junge hinüberblickte, geriet sein Lenker ins Schwanken. Fast hätte der Junge einen Unfall gebaut, als er Alice auf dem Fahrrad neben sich sah.

Was zum-" fluchte er in seiner Überraschung still, bevor er laut sagte, „ Was machst du denn hier?"

„Als ich gestern für meine Mutter Besorgungen erledigt habe, sah ich, dass du an deinem Fahrrad rumschraubst. Da habe ich mir gedacht, dass du heute damit fahren willst, und habe meinen Papa gebeten, meines auch vorzubereiten, damit wir zusammen fahren können."

„Ahh... das hast du gesehen... schön... schön", allerdings fand er es nicht wirklich ganz so schön, da sein ganzer Plan ins Wasser gefallen war.

Immer wieder versuchte Eric durch Beschleunigen dem anhänglichen Mädchen zu entkommen, doch immer wieder schloss sie zu ihm auf. Irgendwann gab Eric auf, ihr entkommen zu wollen, und gab sich seinem Schicksal hin. Zusammen radelten sie die Straße entlang in Richtung Schule.

Etwa nach etwas mehr als einem Viertel des Weges erreichten sie den kleinen Abhang, an dem sich die Straße gewunden nach unten schlängelte. Direkt senkrecht nach unten führte ein gepflasterter Fußgängerweg.

Vor ihm hielt Alice an und blickte den Abhang hinunter.

„Was ist los?" fragte Eric, der über den plötzlichen Stopp überrascht war.

„Ich würde liebend gern gerade nach unten rauschen."

Mit einem Blick den steilen Grashang hinunter wusste Eric, wie abenteuerlich dieser Vorschlag war. Ein Vorschlag, den er nur kopfschüttelnd ablehnen konnte: „Bist du verrückt! Du brichst dir den Hals!"

„Meinst du? Glaub ich nicht", entgegnete Alice und streckte den Hals, um abermals den von ihr bevorzugten Weg auszukundschaften. „Es wird wenigstens ein bisschen holprig, ja, aber nicht gefährlich. Willst du es nicht probieren? Den Nervenkitzel!? Ach komm schon, Eric! Sei kein Feigling und riskiere ein bisschen was im Leben, dazu ist es da!"

Mit diesen Worten trat sie in die Pedale, riss den Lenker um 90° nach rechts und raste mit einem Aufschrei der Freude senkrecht den Hang hinunter. Eric sah mit ängstlichen, großen Augen zu, wie sie immer mehr an Geschwindigkeit gewann und die Stoffenden ihres blauen Shirts wild im Wind rauschten. Zum Glück kam kein Auto die Straße hinaufgefahren, das mit dem verrückten Mädchen zusammenprallen könnte. Sicher und mit quietschenden Reifen kam Alice am unteren Ende des Hangs zum Stehen. Siegreich reckte sie beide Hände in die Höhe und blickte den Jungen über ihr herausfordernd an.

Obwohl Eric noch immer keine große Lust hatte, ihr zu folgen, musste er doch seinem Kampfgeist, einem Mädchen nicht unterlegen sein zu wollen, nachgeben.

„Na gut", murmelte er noch weniger zuversichtlich, als er es tatsächlich war.

Erics Fingerknöchel traten weiß hervor, so sehr klammerte er sich an seinen Lenker. Nichtsdestotrotz stieß er sich mit seinem rechten Turnschuh vom Boden ab und lies die Erdanziehung den Rest erledigen. In einem unglaublichen Tempo raste er über die grünen Grashalme und spürte trotz Federung die Unebenheiten des Bodens auf jedem Stückchen Haut seines jetzt schon schmerzenden Hinterns. Da er so schnell beschleunigte, hielt er den Lenker starr gerade aus und wagte nicht, das Vorderrad zu bewegen. Der Wind biss in ins Gesicht, sodass er seine Augen zu schlitzen verengte. Einmal spürte er eine Delle im Boden, die ihn beinahe zu Boden gerissen hätte. Jedoch konnte er sich gerade noch fangen.

Inständig betete der Junge in den 30 Sekunden, die die Fahrt dauerte, dass er heil unten ankommen würde. Selbst als sein Fahrrad ruhig neben Alice stand, hatte er sich noch immer gebeugt und an den Lenker geklammert.

„Ich- ich hab es geschafft!" keuchte er erleichtert.

„Glückwunsch!" jubelte Alice. „War das nicht ein tolles Gefühl, der Wind, die Geschwindigkeit. Das ist Leben!"

„Das ist der Tod!"

„Ha, so schlimm war es nicht. Glaub mir", sie tätschelte Erics Rücken, um die Übelkeit in dessen Magen zu besänftigen. „Da wir gemeinsam dieser Todesgefahr entgegengesehen haben, sind wir jetzt wirklich wahrhaftige Freunde."

„Was redest du da?" Eric war noch zu aufgeregt, um wirklich zu verstehen. „Die ist doch total verrückt!"

„Jap, ab jetzt bist du mein bester Freund", sie grinste ihn mit ihrem breiten Lächeln an. „Das wird so aufregend. Ich hatte bisher noch keinen richtigen, besten Freund!"

Der Junge blickte sie aus seinem langsam wieder Farbe bekommenden Gesicht an: „Kein richtiger Freund? Wo hat die denn gelebt? Hinterm Mond? Naja, wer im Glashaus sitzt-"

„Kommst du?"

Ohne es zu merken, war Alice bereits wieder fest im Sattel und drängte nun darauf, dass die beiden weiterfuhren, um nicht zu spät zu kommen. Da er den größten Teil an Kontrolle über seine Beine zurückerlangt hatte, richtete sich auch Eric auf und folgte seiner selbst erklärten neuen, besten Freundin.

Als sie nun gemütlicher die Straße entlang fuhren, kam Eric eine Frage in den Sinn: „Warum hast du dich eigentlich neben mich gesetzt? Da waren doch noch andere Plätze frei?"

„Ganz einfach", Alice blickte ihn zum ersten Mal ernst an, „du sahst so einsam aus. Als bräuchtest du einen Freund. Und da ich auch einen brauchte, dachte ich mir, ich sollte mich neben dich setzten. Jetzt sie uns an!"

Wieder strahlte sie und fuhr weiter die Straße entlang. Eric folgte ihr still.


Cherry Blossoms Falling from a TreeWhere stories live. Discover now