sie; acht

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Der Schulabschluss.

Eine emotionale Achterbahn glücklicher und zugleich trauriger Gefühle.

Schon am Tag zuvor hatte sie unter Tränen ihr Abschlusskleid angeblickt, gefüllt voll Angst und freudiger Erwartung wegen dessen, was am nächsten Tag auf sie zukommen würde.

Am Morgen fand ein Gottesdienst statt.

Er saß auf der Bank hinter ihr, wann immer sie sich zu ihm umdrehte, und das passierte recht häufig, schenkte er ihr ein warmes Lächeln.

Wie jedes Mal spürte sie ein Kribbeln in ihrem ganzen Körper.

Als ihnen später an der Schule ihre Zeugnisse überreicht wurden, begann sie zu realisieren, dass dieser Abschnitt ihres Lebens nun wirklich ein Ende hatte.

Sie schaffte es mühsam ihre Tränen zurückzuhalten.

Nach der Zeugnisvergabe versammelte sich ihr ganzer Jahrgang auf dem Schulhof, um Luftballons mit Wünschen für die Zukunft steigen zu lassen.

Obwohl sie es nicht allzu offensichtlich hatte aufschreiben können, war ihr Wunsch in einer versteckten Formulierung er gewesen.

Die bunten Ballons stiegen in die Luft und sie konnte an nichts anderes als an ihn denken.

Jetzt brachen die letzten Augenblicke an, in denen sie die Möglichkeit hatte ihn zu sehen.

In ein paar Minuten würde er gehen und nicht mehr zurückkommen.

Sie schaute ihn an, es war ihr egal ob ihr Starren offensichtlich war oder nicht.

Sie musste ihn einfach ansehen, um seine Vollkommenheit noch ein letztes Mal in sich aufzusaugen.

Die meisten hatten sich schon von ihm verabschiedet und es waren nur noch wenige Leute da, als sie auf ihn zuging.

Sie stand vor ihm und wich seinem direkten Blickkontakt scheu aus.

Nicht im Stande viele Worte zu sagen, murmelte sie etwas vor sich hin und dann schloss sie ihn voller echter Verzweiflung in die Arme.

Einfach so.

Er war ein wenig überrascht, aber seine Arme legten sich um sie, und er strich ihr kurz über den Rücken.

Es war keine Umarmung wie in einer klischeehaften Liebesgeschichte. Sie sog nicht ein letztes Mal seinen Duft ein oder hatte das Gefühl die Zeit würde stehenbleiben.

Sie war zu benebelt von seiner Nähe um überhaupt etwas mitzubekommen.

Die Umarmung war kurz und sie zog sich schnell wieder von ihm zurück, gewann ein paar Schritte an Abstand und lächelte ihm ein letztes Mal zu.

Er lächelte zurück;
 und dann ging sie.

Drehte sich von ihm weg, ohne noch einmal zurück zu schauen.

Als sie eine Straße weiter alleine auf ihre Eltern wartete, konnte sie ihre Tränen nur schwer zurückhalten.

Immer wieder musste sie diese herunterschlucken.

Ein paar Leute liefen an ihr vorbei, verabschiedeten sich, oder murmelten ein schnelles "bis gleich".

Als so gut wie keiner mehr zu sehen war, liefen vier Personen über eine nahegelegene Kreuzung in ihre entgegengesetzte Richtung.

Sie brauchte nicht zweimal hinzusehen um zu erkennen, dass er es war.

Er und seine Familie.

Sie wünschte sich, dass er sich nun umdrehte und zu ihr kam, dass er sie noch einmal anblickte wie sie dort ganz alleine stand, aber das tat er nicht.

Er schaute nicht zurück und deshalb bemerkte er sie auch nicht.

Und so kam es, dass sie ihn verlor.

Sie schaute ihm hinterher, bis er um eine Ecke verschwunden war und die ganze Zeit über blieb sie stark; nicht für irgendwen anders, sondern für sich selbst.

Aber sobald sie ihn nicht mehr sehen konnte, erlosch das Licht in ihr, das Tanzen ihrer Sterne und Planeten erstarb, sie waren verschwunden.

Äußerlich sah sie aus wie immer, aber innerlich war sie leer.

Ihr ganz persönliches Universum war verschwunden und hatte sie mit sich gezogen.

Zwar stand sie noch dort an der Straße und wartete auf ihre Eltern, aber alles was sie ausmachte, war mit ihm verschwunden.

Müsste sie jetzt den auf sie zukommenden Schmerz auf einer Skala von eins bis zehn beschreiben, dann wäre er eine elf.

𝐔𝐍𝐄𝐑𝐖𝐈𝐃𝐄𝐑𝐓, wattys 2018 winnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt