3 | Hinesville

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Als ich am nächsten Morgen nach meinem fertig gepacktem Koffer und Rucksack greife, überkommt mich ein komisches Gefühl. Ein Gefühl, das sagt, dass ich das Richtige tue. Doch kann überhaupt etwas, dass sich so falsch anfühlt, richtig sein? Ich weiß es nicht. Und ich weiß es auch dann nicht, als ich zusammen mit dem Gepäck die Treppen runtersteige und mich mental auf die kommende Zeit vorbereite.

Unten angekommen schmeiße ich mir meinen Rucksack mit einer Handbewegung über den Rücken. Nun ist es also soweit. Ich soll mein Zuhause verlassen. Oder besser gesagt das Heim, das so lange mein Zuhause gewesen ist.

Für ein ganzes Jahr.

Ich atme tief durch und bin im nächsten Moment von mehreren Angestellten umzingelt.

»Das Frühstück ist fertig und das Taxi ist in genau zwei Stunden da. Das wird sie dann bis zum Flughafen fahren«, erklärt der Erste, doch ich schüttle nur den Kopf.

»Wenn Sie wollen, können wir Ihnen auch etwas Einpacken und sie können sofort los und sich in der verbliebenen Zeit mit ihren Freunden treffen und sich verabschieden«, kommt es nun von einer Frau, dessen Namen mir nicht bekannt ist. Sie arbeitet erst seit kurzem hier.

Ich winke abermals ab. »Ich hab keinen Hunger. Und ich werde sofort gehen«, entgegne ich dann monoton und bringe alle dazu, mich mit großen Augen anzusehen.

»Aber das Taxi ist noch garnicht da! Und Mr. Sánchez ist noch nicht von seinem Termin zurück. Er hat uns ausdrücklich darum gebeten, sie erst dann gehen zu lassen, wenn sie etwas zu sich genommen haben und er wieder eingetroffen ist. Er will sich noch von Ihnen verabschieden«, erklärt ein anderer Kerl, der ziemlich überfordert seine Brille zurechtrückt.

Ich ziehe die Brauen zusammen. »Das ist mir egal.«

Gestern noch wollte Großvater mich so schnell wie möglich loswerden und nun möchte er sich ganz plötzlich noch persönlich von mir verabschieden. Nein, um ehrlich zu sein ist es gut so, dass er nun nicht hier ist. Es macht mir die Abreise leichter und ebenso, wütend auf ihn zu sein. Denn das bin ich, auch, wenn die Wut über Nacht einwenig verblasst ist.

Ich habe scheiße nochmal allen recht dazu, mich so daneben zu benehmen, denn es fühlt sich sowas von beschissen an, verstoßen zu werden.

»Ich werde gehen. Und ich möchte, dass ihm niemand davon Bescheid gibt«, sage ich mit mehr Nachdruck in der Stimme.

Doch als meine Augen im nächsten Moment Max erfassen, der vor mir auftaucht und wirklich traurig aussieht, übermannt mich auch eine gewisse Beschlagenheit . Scheiße, ihn werde ich tatsächlich vermissen...

Max schluckt merklich. »Aber Leano..-«

»Das ist ein Befehl, Max«, unterbreche ich ihn bestimmend und schenke ihm dann einen ernsten Blick. Ich habe die Anführerposition noch nie benutzt. Heute ist das Erste und hoffentlich auch letzte Mal, denn es fühlt sich nicht besonders schön an, so mit meinem Freund zu sprechen.

Sofort kommt die Frage in mir auf, wie es Großvater nur jeden Tag schafft...

»Danke für alles.« Meine Stimme bröckelt einwenig, als ich Max in meine Arme ziehe und kurz so verweile. Er klopft mir auf die Schultern und schenkt mir nachdem wir uns wieder voneinander gelöst haben ein halbes Lächeln.

»Du tust ja so, als würden wir uns nie Wiedersehen«, versucht Max, die Stimmung einwenig aufzulockern, doch ich erkenne die Angst in seiner Stimme.

Ich lache bitter. »Man weiß ja nie, was in einem Jahr passiert. Ich will einfach nur mit dem Wissen gehen, dass ich mich zumindest bei dir würdig verabschiedet habe.«

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