4 | "Du bist nicht von hier"

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»Gibt es hier in der Nähe irgendetwas, wo ich meine Energie rauslassen kann?«, frage ich Nolan am nächsten Morgen und bin froh, dass heute Sonntag ist und ich somit noch einen letzten Tag Ruhe haben kann, ehe ich mich dann auf die neue Schule einstellen muss.

Und ich denke, diesen freien Tag sollte ich nutzen, um ein bisschen runterzukommen. Ich muss erstmal auf mein Leben klarkommen, bevor ich überhaupt an irgendwas anderes denken kann. Zumal ich immer noch nicht glauben kann, dass Großvater mich so verarscht hat.

Schließlich hat er kein Wort über diese Familie verloren...

»Kommt drauf an, was genau du suchst«, reißt mich Nolan aus meinen Gedanken und erweckt somit mein Interesse. »In der Nähe gibt es genug Fitnesstudios, hier um die Ecke einen Basketballplatz und einen Boxclub.«

Letzteres lässt mich hellhörig werden. Ich habe nämlich immer schon leidenschaftlich gerne geboxt. Großvater hat mir erzählt, dass mein Dad es auch geliebt hat, als er in meinem Alter war. Kann sein, dass ich mein Können von ihm geerbt habe, aber sicher ist, dass Boxen wahrscheinlich das Einzige ist, in dem ich gut bin. »Wo genau liegt der Boxclub?»

»Zu Fuß keine zwanzig Minuten von hier. Wenn du willst, kann ich dir den Standort schicken oder ich fahr dich nach dem Frühstück direkt hin«, antwortet Nolan, doch ich winke nur ab.

»Es reicht, wenn du mir den Standort schickst.«

Und so kommt es, dass ich mich nach dem Frühstück auf den Weg zum Boxstudio mache, dass ich tatsächlich ohne große Probleme erreiche. Doch das liegt schlichtweg an der Tatsache, dass es hier nicht sonderlich groß ist und ich mir deshalb keine Sorgen machen muss, mich zu verirren.

Tja, dass ist wahrscheinlich der einzige Vorteil an dieser kleinen Stadt...

Seufzend schiebe ich die Tür des heruntergekommen Gebäudes auf und werde sofort vom Innenleben empfangen. Ich sehe mich um und steuere sobald ich alles am Empfang geklärt habe auf die Kabinen zu, um meine Jeans durch eine schwarze Sporthose auszutauschen. Ich ziehe mir noch ein weißes Shirt über, ehe ich alles andere in meine Tasche stopfe, um mit meinen Boxhandschuhen gewappnet die Kabine zu verlassen und mich nach drinnen zu bewegen.

Ich sehe mich interessiert in der überraschend großen Halle um und lasse meinen Blick über die vielen Menschen schweifen, die am trainieren sind. Das alles erinnert mich einwenig an mein Boxstudio Zuhause, und ich fühle mich zum ersten Mal seit meiner Ankunft auf eine Art geborgen. Meine Aufmerksamkeit bleibt für einen Moment auf zwei Typen hängen, die gerade dabei sind, im Ring zu kämpfen. Und für den einen scheint es nicht sehr gut auszusehen. Der andere Kerl ist ihm einfach zu überlegen, und das nicht nur in der Größe und Statur. Er hat eine viel bessere Technik und hat ziemlich präzise Schläge drauf, dass muss ich zugeben.

In Gedanken versunken streife ich mir die Boxhandschuhe über und begebe mich dann in eine ruhigere Ecke. Meine Sporttasche lasse ich in auf die Bank fallen, ehe ich mich zum roten Boxsack begebe, der bereits einladend auf mich wartet. Ich atme tief durch, ehe ich einen ersten Schlag mache, gefolgt von einem zweiten, dritten und vierten. Irgendwann höre ich auf zu zählen und schlage immer wieder kontrolliert auf den Sack ein. Doch mit der Zeit beschleichen mich wieder diese vielen Gedanken und ich bekomme es mit einem Frust zutun, den ich zuvor noch nie in diesem Maße verspürt habe.

Ich denke an Großvater und seine Worte zurück und bin plötzlich total angespannt. Die Wut, die ich zuvor in mich hineingefressen habe, kommt mit einem Mal hoch und ich lasse ihr freien Lauf, indem ich mit voller Wucht gegen den Boxsack schlage. Meine Schläge werden immer fester, schneller und irgendwann so aggressiv, dass ich letztlich darin Ende, mich mit einem viel zu schnellen Puls an meinen Knien abzustützen und erschöpft nach Luft zu schnappen.

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