1.4 - Slash

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Slash

Geschmeidig glitt Slash in das Musikzimmer und war prompt umzingelt von zwei Dutzend Schülern. Er fühlte sich in diesem Raum beengter als in einem Kampf, bei dem er sich zehn Gegnern gleichzeitig stellen musste. Er konnte zwar die einen oder anderen Dinge gut erklären, aber das tat er lieber im Zusammenhang mit sportlichen und athletischen Aufgaben – Musik genoss er nur für sich alleine. Was hätte er jetzt dafür gegeben, eine Angriffstaktik mit Messern zu erläutern. Stangenwaffen und Schwerter wären ihm auch recht oder ganz einfach ein Nahkampf ohne Waffen. Doch Pure und er mussten sich menschlich und normal benehmen. Sie hatten einige Fächer unter sich aufgeteilt und an ihm blieben Sport und Musik hängen. Mit den Fächern an sich hatte er kein Problem, aber mit seiner einengenden Rolle in diesem geschlossenen Schulzimmer.

Er wuchtete eine abgenutzte, lederne Umhängetasche auf das Lehrerpult. Slash wollte seinen Unterricht damit beginnen, dass sich alle Schüler zuerst vorstellen und ihre Beziehung zur Musik erläutern sollten. Vielleicht konnte er auf diesem Weg etwas herausfinden. Falls nicht, würde er jeden Schüler einzeln rannehmen. Und danach würde er auch jeden von ihnen etwas vorspielen oder singen lassen. Spätestens dann sollte er einen Anhaltspunkt haben oder Pure würde etwas spüren können, falls einer von den Schülern eine musikalische Gabe hatte. Pure hatte nämlich die Fähigkeit andere ihrer Art aufzuspüren, sobald diejenigen ihre Essenz einsetzten. Egal, ob es eine aktive Kraft für den Angriff war oder eine dezente, die man nicht durch funkelnde Blitze oder dergleichen sah. Dabei hoffte er, dass er mit seinem Programm in einer Stunde durchkommen würde. Ein straffer Zeitplan, aber nicht unmöglich.

Während er sich den Schülern noch einmal als neuer Lehrer vorstellte und ihnen eine erfundene Geschichte über sein Alter, seinen Namen und Werdegang auftischte, konzentrierte er sich auf die verschiedenen Augenpaare im Raum. Dabei blickte er jedem einzelnen Schüler forschend ins Gesicht. In der hintersten Reihe blieb sein Blick hängen - dort war sie wieder.

Ihre Haare trug sie heute offen und sie breiteten sich ungeniert über ihren Rücken aus. Ihre Ellbogen hatte sie auf den Tisch gestellt, während ihr Kinn auf den verschränkten Fingern ruhte. Die Stunde dürfte interessant werden. Und er sollte Recht behalten.

***

Nach seinem Unterricht, der lange und ausgiebig war, hatte er nur eine Schülerin in die engere Auswahl genommen und so ironisch es ihm auch vorkam, war es das hübsche, traurige Mädchen. Zum jetzigen Zeitpunkt war er sich noch nicht vollkommen sicher, es war eher ein Bauchgefühl – aber das hatte ihn noch nie enttäuscht. Slash würde Sky vorschicken, um einen ersten Kontakt mit ihr zu knüpfen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Er war der Bessere für solch eine Aufgabe. Sky war offen und konnte Menschen mit seiner fröhlichen Art für sich gewinnen, ganz anders als er.

Slash traf sich mit Pure und Sky im Schlafzimmer von Pure, um sie über die Eingrenzung ihrer Suche aufzuklären. Sky war ganz begierig darauf, gleich loszulegen und das Mädchen auszuhorchen. Auch Pure war über die Entwicklung äußerst erfreut. »Heute, während deines Musikunterrichts, konnte ich definitiv eine Kraft spüren. Bei meinen Jugendlichen war im Unterricht hingegen nichts zu fühlen. Damit hätten wir mit Sicherheit den Kreis auf deine Klasse eingeschränkt und es muss eine musikalische Gabe sein. Wenn wir Recht haben, dürfte es ab jetzt ein Kinderspiel sein. Das bedeutet, wir hätten es bald erledigt und könnten wieder zurück nach Hause.«

Freundschaftlich legte Slash die Hand auf ihre Schulter und drückte sie leicht. Ihr ging es wie ihm. Auch sie wollte wieder heim, doch das ging noch nicht. »Gut, aber du weißt, dass es nicht so schnell gehen wird. Wir müssen nach den Regeln vorgehen. Zuerst gehen wir an einen anderen Ort, um erste Tests durchzuführen, damit wir sicher sind.«

Pure prustete ungeduldig: »Ja, ich kenne die Vorschriften, trotzdem mag ich sie nicht. Ich will hier weg! Die vielen Menschenkinder machen mich unruhig und die Klamotten kratzen ständig – auch wenn ich weiß, dass es nicht anders geht.«

Essenz der Götter I - XXL Leseprobe Where stories live. Discover now