3.1 - Loreen

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Loreen war froh, dass Slash und sie sich nach der unsinnigen Streiterei damals im Garten in den letzten Tagen wieder zusammengerauft hatten. Zwar hatten sie kein klärendes Gespräch geführt, aber jeden Tag gingen sie vorsichtig einen Schritt aufeinander zu. Dabei erwischte sie sich immer häufiger, wie sie ihn heimlich beobachtete. Sie redete sich ein, dass sie nur von ihrer Neugierde angetrieben wurde, aber um ehrlich zu sein, war er alles andere als hässlich und einfach schön anzusehen, was die ganze Sache verkomplizierte.

Hinzu kam, dass erst diesen Nachmittag etwas Eigenartiges zwischen ihnen vorgefallen war, was Loreen zusätzlich verwirrte. Sie waren wieder allein auf der Wiese gewesen, um zu trainieren und nach einigen Übungen setzte sie sich müde ins Gras. Die Sonne beschien sie angenehm und Loreen genoss die Wärme so sehr, dass sie unbedacht die Arme um ihre angewinkelten Knie schlang, die Augen schloss und ihr Gesicht gen Himmel richtete. Plötzlich wurde sie aus ihrer Entspannung gerissen, und sie blickte zu Slash, als seine tiefe Stimme neben ihr flüsterte: »Das Licht spiegelt sich unglaublich schön auf deinen Haaren. Hier«, und dabei fiel sein Blick auf Loreens Haarspitzen, »erinnert es an einen Krokus.«
»An Krokus?« fragte Loreen mit gerunzelter Stirn.
»Natürlich, an einen dunklen Krokus«, antwortete Slash, wobei ein kurzes Lächeln seine Lippen umspielte. Sie stieg darauf ein und genoss das unbeschwerte Zusammensein mit ihm. »Natürlich«, erwiderte Loreen mit einem Augenzwinkern. »Woran auch sonst?«
»Hortensien! Wenn ich sie aus diesem Winkel betrachte, schimmern sie wie violette Hortensien.«
Dunkler Krokus, violette Hortensien? Zuerst war Loreen nicht sicher, ob Slash sich nun einen Spaß mit ihr machte, aber ein Blick in seine Augen zeigte ihr, wie ernst er sein Kompliment meinte.
Ihr Mund wurde trocken, aber sie versuchte das Gefühl, das er in ihr auslöste, zu ignorieren. »Danke. Das ist nett von dir. Aber woher weiß ein Mann so genau wie diese Blumen aussehen oder sogar heißen?«
Spielerisch stieß sie ihn mit ihrer Schulter an. »Bist du etwa in deiner Welt ein Gärtner?«, scherzte sie, doch er zuckte nur mit den Schultern. Sein nachdenklicher Blick war noch immer auf ihre violetten Haare gerichtet, seine Hände um seine angezogenen Knie verschränkt. »Würde ... würde es dir etwas ausmachen, wenn ich dein Haar berühre? Es glänzt so stark und die Farbe ... das habe ich noch nie gesehen.«

Aufmerksam blickte sie Slash in die Augen und nickte dann mit angehaltenem Atem. Langsam kamen seine Finger näher und als er eine Strähne berührte und um den Finger wickelte, schien seine Miene weicher und freundlicher zu werden als sonst. In Loreens Fingern begann es zu kribbeln und es juckte sie, ebenfalls seine Dreadlocks zu berühren, um zu spüren, wie sie sich anfühlten. Aber das wäre falsch, ganz falsch.
Sie hatte einen Freund; sie war nicht so ein Mädchen. Das undefinierbare Kribbeln in ihrer Magengegend lag nur daran, dass sie schon lange nichts mehr gegessen hatte, das hatte nichts zu bedeuten. Rein gar nichts!

Während Slash ihr Haar bewunderte, hatten sich beide leicht zueinander gebeugt. Loreen war es nicht aufgefallen, aber jetzt war er ihr plötzlich so nahe, dass sie seine Wärme spüren konnte. Seine dunklen Augen blickten in ihre, Gold schimmerte für einen Moment darin auf und sie vergaß jeden zusammenhängenden Gedanken. Doch von einer Sekunde auf die andere ließ Slash ihr Haar abrupt los und wich zurück, als hätte er sich an ihr verbrannt. Er räusperte sich und sprang auf. »Danke. Ich muss los«, nuschelte er, bevor er wegging und der Moment vorbei war.

Ein weiteres Mal schüttelte Loreen ungläubig den Kopf, als sie an den irritierenden Zwischenfall mit ihm zurückdachte. Klar, es war nichts passiert, aber es hatte sie mehr durcheinander gebracht, als sie sich eingestehen wollte. Sie dachte immer, sie wäre in Jamie verliebt, dass er der Richtige für sie sei. Aber bei ihm hatte sie nie eine so intensive Lebendigkeit und aufregende Nervosität empfunden, sondern sich eher wohl und vertraut gefühlt. Er war ihre beruhigende See, während Slash ein stürmisches Meer zu sein schien. Aber es war auch egal, wie sie sich fühlte oder was hier vorging, denn sie hatte bereits einen Freund, auch wenn er sich woanders aufhielt. Sicher lag die Verwirrung, ihre Gefühle betreffend, daran, dass er so weit weg war.

Essenz der Götter I - XXL Leseprobe Where stories live. Discover now