6.2 - Slash... / 6.3 - Sky

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Slash

Den Spruch ›Ein Unglück kommt selten allein‹ kennt sogar Slash und bei ihm trifft die altkluge Wahrheit sogar dreimal zu. Zuerst macht Loreen die Divinus auf sich aufmerksam, dann stellt sich heraus, dass sie von nun an ein Teil ihrer Welt sein möchte und von einer Sekunde auf die andere, ist er ihr Aufpasser und muss sie gleichzeitig ausspionieren, während er ihr das neue Leben näher bringt. Einmal hatte er davon geträumt, sich sogar danach gesehnt, ihr seine Welt näher zu bringen. Aber das ist lange her und nun wird der einstige Wunsch zum Alptraum. Warum gerade er? Zugegeben, Elderly hat es ihm erklärt und er versteht es auch, aber glücklich darüber ist er deswegen noch lange nicht. Wie soll er sich von ihr emotional abschotten und ihr aus dem Weg gehen, wenn er sie jeden Tag herumführen und trainieren muss? Ein Ding der Unmöglichkeit, auch wenn er weiterhin den ätzenden, grimmigen Typen raushängen lässt, den Loreen bisher zu Gesicht bekommen hat. Lange wird er das nicht mehr durchhalten, dazu ist es zu anstrengend. Okay - er ist generell kein extrovertierter Sonnenschein, das weiß er selbst. Aber das ganze Schnauben, Brummen und böse Funkeln ist ermüdender als gedacht.

Gedankenverloren irrt er durch das Lager, in dem Alltag und reges Treiben eingekehrt sind. Die neugierigen Gaffer haben sich wieder an die Arbeit gemacht und gehen ihren täglichen Aufgaben nach. Einige Frauen eilen mit frisch gewaschener Wäsche durch das Lager, andere putzen Fenster oder bereiten mit Männern gemeinsam das Nachtmahl vor, während sich manche Kinder zwischen den Erwachsenen durchschlängeln und mit halsbrecherischem Tempo Fangen spielen oder sich mit blauen Beeren der in der Nähe wachsenden Büsche bewerfen. So auch Skys kleiner Bruder Sage, der hinter zwei Jungen her läuft. Sie flitzen an anderen Kindern und den Frauen vorbei und Sage schneidet Slash dabei den Weg ab, so dass er einen Schritt zur Seite machen muss. Sage lacht und ruft im Spiel mit fröhlicher Stimme zurück: »Tut mir leid«, dann ist er so schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war. Slash kann nur noch seine blonden, abstehenden Haare erkennen. Die zwei Brüder ähneln sich sehr, obwohl sie nicht den gleichen Vater haben. Dieselben grünen Augen, die frechen Grübchen beim Lächeln, das gleiche widerspenstige Haar. Nur ist es bei dem einen braun und beim anderen ein sandiges Blond. Und genau zu demjenigen, mit den hellbraunen Haaren, ist Slash auf dem Weg.

Alles wirkt friedlich und beinahe ganz normal, aber eben nur fast. Wären da nicht die hilfreichen wehenden Winde, geformt aus Zauberhand, die den Müll und die Abfälle wie von selbst zu einer Grube außer Sicht des Ortes tragen. Oder dort drüben das eine oder andere goldene Funkeln, während eine Frau am Rande des Lagers Sämlinge setzt, wobei sie durch die umherlaufenden Kinder abgelenkt wird. Würde sie sich vollends auf ihre Kraft und Essenz konzentrieren, könnte man keine Farbe in ihrer Magie erkennen, aber durch das goldene Licht ist es ein leichtes, sie als eine Divina auszumachen. Wäre das Licht silbern, hätten sich schon unzählige Divinus-Krieger auf sie gestürzt, ohne lange Fragen zu stellen.

Das Lager befindet sich auf einer Insel, die, ebenfalls mit magischen Winden, durch das Meer gelenkt wird - immer weiter und in Bewegung, nie zum Stillstand kommend. Die Häuser wurden vor hundert Jahren auf dem größten Plateau der Insel errichtet, um die Aussicht auf das Meer genießen und drohende Gefahr rasch erkennen zu können. Dabei befindet sich das Lager im Osten der Insel, nahe den Klippen. Es ist von Büschen, bunten Sträuchern und unzähligen Bäumen umgeben, die sich im Westen hin zu einem dichten Wald drängen. Zwischen den Bäumen und dem Buschwerk verläuft in Richtung Süden ein Weg in das abfließende Tal, das im Südosten zum Strand sowie zum Meer führt. Aber im Südwesten endet der Weg bei einem kleinen, klaren Teich neben einer Hütte. Der kleine See wird durch den Fluss gespeist, der aus dem hohen Berg des nordwestlichen Teils der Insel kommt. Sie haben hier eine kleine, eigenständige Gemeinschaft geschaffen, eine Insel, auf der sie sich mit allem Notwendigen selbst versorgen können, durch Anbau und Viehzucht. Alles was sie nicht produzieren können, holen sie sich aus der Menschenwelt. Andere würden es als Diebstahl bezeichnen, aber die Divinus sehen es als rechtmäßige Bezahlung für ihre Dienste, die Titanus in Schach zu halten. Ohne sie würden die Titan-Abkömmlinge auf die Menschen losgehen und sie ohne mit der Wimper zu zucken auslöschen. Das weiß jedes Kind und regelmäßig wird die junge Generation von den Alten daran erinnert, nie Gnade walten zu lassen, denn die Titanus kennen diese ebenfalls nicht.

Essenz der Götter I - XXL Leseprobe Where stories live. Discover now