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PAUL

Kaum habe ich das Schulgebäude wieder betreten, komme ich mir vor, als wäre ich nie weg gewesen. Die sechseinhalb Wochen Ferien sind einfach an mir vorbei gezogen.

Ein paar der Schüler, die ich aus Kursen kenne, grüßen mich mit einem Lächeln oder Kopfnicken. Ewa hingegen schlingt ihre Arme um mich, als hätten wir uns Monate nicht gesehen. Dabei sind nicht mehr als zwei Wochen seit unserem letzten Treffen vergangen.

«Da wird man ja fast schon eifersüchtig», lacht Sofia und streicht dich ihr erdbeerblondes Haare links und rechts hinter die Ohren. Das Wetter ist noch warm genug, um es ihr zu erlauben, ein pink-orange geblümtes Sommerkleid zu tragen. Passend dazu steckt sie in weißen, knöchelhohen Chucks. Die Schnürsenkel dieser hat sie mit welchen getauscht, die orange und pink beziehungsweise rosa gestreift sind. Man könnte sie heute gut als wandelnde Pride-Flag bezeichnen.

Wenn ich sehe, wie verliebt die Blicke der beiden Mädchen sind, die sie einander zuwerfen, wird mir beinahe schwindelig. Es entgeht mir nicht, wie hin und wieder ihre Hände einander streifen.

Auch Marcel stößt zu uns. Mich begrüßt er mit einem Handschlag, während er sich zu Ewa und Sofia runterbeugt, um sie kurz mit einem Arm zu umschließen. «Na? Bereit für den Endspurt?», fragt er und streicht sich dabei eine Strähne seines dunklen Haars hinter Ohr. Wenn er seine Haare nicht zu einem Zopf zusammengebunden hat, reichen sie ihm bis zu den Schultern. Irgendwann hat er angefangen, sie einfach wachsen zu lassen. Seine Beine stecken wie gewöhnlich in einer Chino-Hose, dazu trägt er wie immer ein einfarbiges Shirt und ein offenes Flanellhemd. Heute ist die Hose beige, das Shirt blau und das Hemd schwarz weiß kariert.

Marcels Kleidungsstil oder dass er so viel älter aussieht, als er ist, ist allerdings nicht das, was mich an ihm beeindruckt. Ich glaube, ich habe ihn noch nie mit schlechter Laune gesehen. Marcel ist eine Frohnatur durch und durch und hat eigentlich die meiste Zeit ein Lächeln auf den Lippen.

«Abi! Abi!», hören wir Jan Grölen und kommen nicht dazu, auf Marcels Frage zu antworten. Der Blonde kommt mit erhobenen Armen auf uns zu. Hinter ihm schlürft Milos her, welcher den Kopf einzieht und seine Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben hat.

«Noch nicht ganz Herr Biegel, bevor man sie in die echte Welt lassen kann, müssen Sie erst erwachsen werden und ihre Prüfungen bestehen.»

Jan zuckt wie ein erschrockenes Reh zusammen, als unsere Klassenlehrerin schmunzelnd an ihm vorbei geht und den Raum aufschließt.

Ich schüttle nur den Kopf und warte darauf, dass Ewa zu uns aufschließt. Sie verabschiedet sich noch von Sofia, die zu ihrer eigenen Klasse muss.

Gemeinsam betreten wir unser Klassenzimmer. Es ist dasselbe wie auch die letzten beiden Jahre. Daher fällt die Platzwahl auch nicht sonderlich schwer. Ewa und ich lassen an unserem Tisch rechts an der Wand, in der zweiten Reihe fallen.

Nach dem Klingeln schlägt Frau Küchner das Klassenbuch auf, überfliegt die Liste und lässt ihren Blick über die Klasse schweifen.

«Wir sind vollzählig, wie schön.» Sie lacht und schiebt das grüne Buch beiseite. «Somit heiße ich Sie herzlich willkommen im neuen Schuljahr. Das Jahr, das sie hoffentlich alle mit einem Abitur beenden werden.»

Zwei Sitzreihen weiter hinten kann man beobachten, wie ein Jan eingeschüchtert ein Stück tiefer in seinen Stuhl rutscht, als der Blick der Grauhaarigen kurz bei ihm hängen bleibt.

Seufzend wende ich mich ab. Er hat es mit Ach und Krach in die dreizehnte Klasse geschafft.

Ich würde nicht sagen, dass Jan dumm ist. Er ist eher ziemlich faul. Seine Prioritäten liegen immer da, wo sie nicht liegen sollten. Dazu kommt noch, dass er ein unglaublicher Chaot ist.

the love you wantWhere stories live. Discover now