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PAUL

Das fahle Gesicht in der Reflexion des Spiegels kommt mir fremd vor. Es sieht allerdings genauso miserabel aus, wie ich mich fühle.

Meine Augenringe sind tief und dunkel, mein Haar ist glanzlos und meine goldbraunen Augen sind trüb. Seufzend reibe ich mir über mein Kinn. Die Motivation für eine Rasur hatte ich gestern zum Glück gefunden.

Ich fühle mich unfassbar leer. Gleichzeitig könnte ich aber auch einige Tonnen schwer sein.

Es ist früh. Ich habe vielleicht vier Stunden geschlafen.

Auf leisen Schritten gehe ich zurück in mein Zimmer. Der Rest schläft noch.

Eine Jogginghose habe ich mir bereits übergezogen. Daher ziehe ich mir nur noch willkürlich einen Hoodie aus dem Schrank und schnappe mir vorsichtig meine Gitarre.

Josie springt an mir hoch, als ich ihr im Erdgeschoss auf sie stoße. Selbst ihre Augen sind noch klein. Nach draußen folgt sie mir dennoch. Die Red Merle Hündin rollt sich auf einem der überdachten Loungemöbel zusammen und schlummert weiter.

Leise ziehe ich die Terrassentür hinter uns zu und setze mich auf einen der Gartenstühle.

Bevor ich ein Lied ansetze, teste ich, wie ich zupfen muss, um nicht allzu laut zu sein. Es dämmert zwar schon, aber die Nachbarn muss ich deshalb nicht unbedingt wecken.

Ich verspiele mich und zwar nicht nur einmal. Alles hört sich krumm und schief an. Deshalb versuche ich einfachere Lieder.

Irgendwann schaffe ich es, in einer Melodie zu versinken. Die Hand meiner Mutter, die auf meiner Schulter verweilt, bemerke ich erst, als ich von den Saiten ablasse.

Verwundert sehe ich über meine Schulter zu ihr. «Wieso bist denn schon so früh auf?», fragt sie und begegnet mir mit einem Lächeln.

Ich seufze und zucke mit den Schultern. «Ich habe schlecht geschlafen.»

«Hm», macht sie und beginnt mit den Haaren an meinem Hinterkopf zu spielen. «Hattet ihr gestern schönen Abend?»

«Ja», erwidere ich und bin enttäuscht, als sie von mir ablässt und ihren Morgenmantel enger zieht. Obwohl ich gestern Spaß hatte, fühlt sich meine Antwort ein Stück weit wie eine Lüge an.

Wenn Mama mich am Hinterkopf krault, fühle ich mich immer, als wäre ich wieder ein unbeschwerter kleiner Junge. Es ist immer wie ein kleiner Trost.

«Soll ich den Tisch eigentlich für eine Person mehr decken?»

Verwirrt lasse ich das Plektrum wieder sinken und sehe zu meiner Mutter. Ihre Hand ruht an den Terrassen, die offen steht. Josie ist bereits wieder ins Wohnzimmer verschwunden.

Ich schüttle meinen Kopf. «Hab niemanden mitgebracht.»

Es ist schon ab und zu vorgekommen, dass ich Jan, Ewa oder Becca mitgebracht habe, wenn wir unterwegs gewesen sind.

Als ich mich nicht mehr allzu miserabel fühle, gehe ich wieder nach innen.

Nach dem Frühstück mache ich mich auf in die Stadt. Mein Friseur hatte spontan noch einen Termin frei und es ist dringend an der Zeit, das Nest auf meinem Kopf zu richten.

Heute nehme ich den Bus. Mit Kopfhörern in den Ohren sehe ich nach draußen und halte meine Thermoskanne mit Kakao fest in den Händen.

Gehört das zur Selbstfindung dazu, dass egal in welcher Situation ich mich befinde, ich mich wie ein Aussätziger fühle?

Es kommt mir so vor, als wäre ich gar nicht richtig hier, sondern eher in der Schwebe.

Passend zu meiner Identitätskrise, lasse ich meinen Friseur heute machen, was er möchte.

the love you wantWhere stories live. Discover now