Kapitel 9

14K 1.3K 107
                                    

"Ach du scheiße, hat dich der Dämon gekratzt?", fragte Adriana. Davon war vorhin gar nichts zu sehen gewesen, als sie Rico mitsamt dem Delta-Dämon am Hosenbein, durch die Tür gezogen hatte. Aber jetzt klaffte ein roter Strich an Ricos Wade, der ein wässriges Sekret absonderte. Der grüne Speichel von Deltas war giftig, das wussten alle. Kleinste Wunden, in die dieser Speichel geriet, konnten sich böse infizieren und zum Tod innerhalb von 12 Stunden führen, wenn man es nicht rechtzeitig behandelte. Ach du Schreck. Ungläubig blinzelte Adriana mehrere Male. Nein, das durfte nicht wahr sein! Nicht Rico!

"Verdammt. Wahrscheinlich habe ich wegen dem Adrenalin nichts gespürt." Mit geschlossenen Augen hämmerte Rico seinen Hinterkopf gegen die Wand. Dabei hüpfte ihm beinahe die Nerdbrille von der Nase.

Das durfte einfach nicht wahr sein! In den nächsten Stunden bis Sonnenaufgang, konnten sie die Villa nicht verlassen. Adriana vergrub ihr Gesicht in den Händen.

"Heiße Schokolade!" Zu allem Überfluss kam jetzt auch noch Harry mit einem Tablett voll dampfender Tassen ins Wohnzimmer. Wenigstens gab das Adriana ein paar Sekunden zum Nachdenken.

"Sag es nicht den anderen", flüsterte Rico.

"Warum nicht?"

"Ich will kein Mitleid, oder dass Dakota am Ende noch meint, dieser Kratzer wäre eine Markierung und ich sei ein Halbdämon."

"Erzähl keinen Scheiß."

"Wollt ihr Marshmallows in eurem Kakao?" Gerade als Adriana Rico zurück zu den anderen gezogen hatte, legte ihr Molly eine Hand auf die Schulter. Beinahe wäre sie zusammen gezuckt. "Ja bitte."

Daraufhin drückte ihr Molly eine Tasse mit Marshmallows in die Hand, die wie kleine Wölkchen darin schwammen.

Während sie es sich alle auf den Sesseln und Sofas bequem machten, sagte niemand ein Wort. Eine Weile hörte man nur das Geschlürfe mit dem sie ihre Tassen austranken. In Adrianas Inneren, tobte ein Kampf. Immer wieder warf sie Rico, der zwischen ihr und Harry auf dem Sofa saß, verstohlene Blicke zu. Noch zeigte er keine Anzeichen, großer Schmerzen. Zumindest überspielte er sie gut, denn der entzündete Kratzer musste ganz schön weh tun. Wenn Rico starb... nein daran wollte sie gar nicht denken. Er war ihr bester Freund. Sie mussten es rechtzeitig ins Krankenhaus schaffen. Irgendwie. Aber was war, wenn die Ärzte im Morgengrauen sagten, es sei bereits zu spät? Dass sie früher hätten kommen müssen? Angestrengt zermaterte sich Adriana das Gehirn. Aber wie sollten sie das anstellen? Okay, das einfachste war noch, das Sicherheitssystem der Villa auszutricksen. Allerdings würden sie damit die restlichen Bewohner des Hauses in Gefahr bringen. Und wie sollten sie es mit Rico ins Krankenhaus schaffen, wenn überall Dämonen lauerten? Ganz zu schweigen davon, dass das Krankenhaus ebenfalls wie Fort Knox abgeriegelt war. Dort kam jetzt niemand mehr rein. Auch keine Notfälle. Das war so, seit sich vor ein paar Jahren ein Gamma-Dämon unbemerkt unter einen Krankenwagen geschmuggelt und so in das Innere eines Krankenhauses gelangt war. Das Blutbad war verheerend gewesen, nachdem der Gamma es irgendwie geschafft hatte das Sicherheitssystem des Krankenhauses außer Kraft zu setzen, sodass sein kompletter Dämonenclan einfach durch den Haupteingang hineinspazieren konnte.

Gerade als Whiskey, der augenscheinlich inzwischen wieder das Wohnzimmer betreten durfte, angetrottet kam und es sich auf Adrianas Füßen bequem gemacht hatte, knallte es erneut. Fast hätte man meinen können, Godzilla sei mit beiden Beinen in den Garten gesprungen. Dämonisches Geschrei erhob sich vor dem Fenster. Rico hob den Kopf. "Oha. Noch ein Alpha."

Wie eine Gewehrkugel kam ein graues Fellbündel angeschossen- Adriana nahm an, dass es sich dabei um die Hauskatze Batida de Coco handeln musste. Allerdings verkroch sich das Tier unter der Kommode neben der Küchentür, bevor Adriana es richtig in Augenschein nehmen konnte.

"Noch ein Alpha-Dämon?" Ganz genau wie die Katze, war Dakota aufgesprungen und an die gegenüberliegende Wand geeilt. "Sollen wir vielleicht vorsichtshalber in den Keller gehen?"

Molly schüttelte den Kopf. "Im Tresorraum haben wir nichtmal genug Platz zum Sitzen, keine Toilette, kein nichts. Lasst uns bis zum letzten Moment warten. Wobei ich nicht wirklich glaube, dass irgendwer die Mauern der Villa überwinden wird. Nicht mal hundert Alphas könnten das."

Womöglich hatte sie recht, überlegte Adriana, aber was wenn nicht? Und was, wenn sie keine Zeit mehr hatten, Ricos Leben zu retten, wenn diese Nacht vorbei war? Doch ehe sie mit Rico darüber sprechen konnte, brüllte eine tiefe Stimme im Garten auf englisch los: "Cruz, alte Missgeburt!" Es schien der Alpha zu sein, der seinem Clan befohlen hatte, diesen Cruz herzuholen. Augenblicklich spitzte Adriana die Ohren. Im Wohnzimmer war es nun vollkommen still.

"Freut mich auch dich zu sehen, Fettklops." Die Stimme des neuen Alphas, erinnerte Adriana an ihren warmen Kakao mit Marshmallows- irgendwie geschmeidiger als die kratzige dunkle Stimme des anderen. Flügel raschelten, dann waren Schritte zu hören. "Haha, sehr lustig."

"Warum hast du nach mir schicken lassen? Mein Clan jagt am anderen Ende der Stadt."

"Scheinbar erfolgreich, wenn du hier alleine auftauchst...", meinte der erste Dämon.

"Ja, das Heim für diese menschlichen Säufer hat ein Sicherheitsleck", freute sich der Alpha Cruz. "Und jetzt rück endlich mit der Sprache raus, Ivan!"

Während sich die beiden Alphas lautstark unterhielten, hätte man im Wohnzimmer eine Stecknadel fallen hören können. Beinahe fühlte sich Adriana wie in ein Kasperl-Theater aus ihrer Kindheit versetzt. Doch da draußen stritten sich gerade nicht Kasperl und das Krokodil, sondern zwei waschechte Alpha-Dämonen!

"Du hast mir nichts zu befehlen, du dreckiger Bastard", kreischte der andere, den Cruz Ivan genannt hatte.

"Ach ja? Ist das so?" Die Drohung in Cruz Stimme war unüberhörbar, beinahe wie ein Donnergrollen.

Ein paar Omegas jaulten, so als würde sie dieser Cruz in Angst und Schrecken versetzen.

"Da drin ist ein schmutziges Blut", gab Ivan schließlich nach.

"Wir wollen es töten!", kreischte eine andere Stimme aufgeregt, wahrscheinlich ein Beta-Dämon.

"Ja und?"

"Riechst du das nicht?", fragte Ivan. "Das Kind ist markiert. Und zwar von dir!"

Darauf war es plötzlich totenstill im Garten. Adriana hielt die Luft an, ebenso wie alle anderen im Haus. Was sollte das alles?

"Du hast Recht."

Dämonentage - Band 1 [Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt