1. Kapitel - Alltag

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Es war ein schöner sonniger Tag mitten im Frühling und alle Kinder des Waisenhauses verbrachten den Nachmittag im Garten. Die älteren halfen beim Unkraut jäten oder pflanzten Blumen. Die jüngeren hüpften über die Wiese und spielten fangen.

Alle hatten Spaß. Alle bis auf mich. Ich saß hoch über dem Boden im Geäst eines alten Ahornbaumes und beobachtete die Autos auf der Straße. Das machte ich immer wenn alle im Garten waren. Der Baum war der einzige Ort wo ich meine Ruhe hatte.

Ein Windhauch fuhr in meine schwarzen Haare und wehte sie nach hinten. Unten auf der Wiese, drehte sich Martina, die Heimleiterin des Waisenhauses, um und fragte:" Hat jemand von euch Kira gesehen? Ich muss mit ihr über den Streit reden."

Ich seufzte. Der Streit war im Moment Gesprächsthema Nummer eins und jeder. Wirklich jeder redete darüber. Egal ob in der schule oder im Heim. Alle wollten wissen, wie zum Teufel ich es geschafft hatte, jebandem ohne es zu bemerken die Nase zu brechen! Martina hatte sich furchtbar aufgeregt und sich bei den Eltern des Jungen sicher 1000-mal entschuldigt. Obwohl ich an dem ganzen Stress schuld war und alle sauer auf mich wahren, fühlte ich mich gar nicht schlecht. Im Gegenteil.

Genau da, als Martina sich entschuldigte und die Eltern des reichen *Piep*s mit einer Anzeige drohten, genau da fühlte ich mich zum ersten mal so richtig wohl. Ich weiß, dass das jetzt seltsam klingt, aber ich fühlte mich zwischen den ganzen gemischten Gefühlen so richtig wohl. Das war seltsam, denn eigentlich fühlte ich mich in gesellschaft von anderen Menschen immer so richtig dreckig. So, als würde ich garnicht hier her gehören. So, als wäre ich auf einem Planeten und alle Menschen um mich herum wären Aliens.

Ein lautes räuspern riss mich aus meinen Gedanken. Ich riss meinen Blick von den vorbeifahrenden Autos los und schaute zwischen den Blättern des Baumes durch auf die Wiese. Unter mir stand Martina und schaute mich mit strengem Blick an. " Komm runter, Kira. Wir müssen nochmal reden.", meinte sie. Ich nickte und sprang von meinem Ast auf den Boden. Martina setzte sich in Bewegung und lief langsam auf das alte Gebäude in der Mitte des Gartens zu. Langsam folgte ich ihr. Wir betraten das Haus durch die Nebentür und gelangten genau im großen Wohnzimmer des Waisenhauses.

Sie wies mich mit einer Handbewegung an mich aufs Sofa zu setzen. Ich zögerte einen Moment, setzte mich dann aber genau in die Mitte des grauen Stoffsofas. Die Heimleiterin setzte sich mir gegenüber in den großen, blauen Lehnstuhl. Ich bin gespannt was sie jetzt noch über den Streit wissen will. "Also gut, Kira. Erzähl mir noch einmal was genau sich deiner Meinung nach abgespielt hat. Innerlich stöhnte ich auf. Musste das sein?

Ich schluckte einmal bevor ich tief Luft holte und zu erzählen begann:" Ich bin am Dienstag ganz normal wie immer mit dem Bus zur Schule gefahren und dort bei der Bushaltestelle ausgestiegen." Sie nickte. " Und weiter?" " Dann bin ich über den Pausenhof zum Schulgebäude gegangen und auf dem Weg dorthin hat mich einer angerempelt. Ich hab mich umgedreht und ihn gefragt was das sollte und er hat nur gelacht und gemeint er habe mich "Waisenhauszicke" halt nicht gesehen. Ich hab in dann gefragt ob er sich nicht bei mir entschuldigen könnte, aber er hat nur gesagt, dass ich es nicht wert wäre. Seine Mutter würde nämlich immer sagen, Waisenkinder täten nur immer so als ob sie um ihre Eltern weinen würden, damit man sie bemitleidet und in Wirklichkeit freuen sie sich darüber ihre Alten los zu sein. Ich bin dann sauer geworden und hab ihm gefragt ob er schonmal jemanden verloren habe der ihm viel bedeutet hatte. Aber er hat nur gelacht und gesagt, dass er einem Stück Dreck wie mir keine Antwort schuldig wäre. Dann hab ich einen Schritt auf ihn zu gemacht und mit der flachen Hand angedeutet ihm ins Gesicht zu schlagen. Angedeutet! Ich hab ihn nicht mal berührt! Dann hat er mich erschrocken angesehen und ist weggerannt. Noch Fragen?" Wärend meiner Erklärung war ich immer lauter und ungehaltener geworden. Ich dachte zurück und spürte die Wut wieder hochkommen. Am liebsten würde ich jetzt schreien. Ließ es aber lieber. Martina sah mich mit hochgezogener Augenbraue an und meinte:" Du sagst du hast ihn nicht mal berührt. Kannst du mir dann erklären wie du ihm ohne ihn zu berühren die Nase brechen konntest?" "Woher soll ich das wissen?!", fauchte ich. Langsam reichte es mir echt. Sollen die doch den "armen" Jungen mit der gebrochenen Nase bemitsleiden und mich endlich mit dem Mist in Frieden lassen! Er war selbst Schuld! Er hat mich beleidigt! "Naschön, Kira. Ich denke da kann man jetzt nicht mehr viel machen. Versuch nächstes Mal wenn sowas vorkommt villeicht nicht so schnell auszuflippen. Geh jetzt und hilf Maria in der Küche.", befahl Martina und unterbrach so meine Gedankengänge. Ich nickte nur und stand auf. Auch gut da hab ich wenigstens meine Ruhe. Langsam ging ich zur Tür und machte mich auf den Weg zur Küche.

Tor der SchattenWhere stories live. Discover now