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Ich bin die, die lächelt.
Die am liebsten losweinen würde, aber sich gerade noch so beherrschen kann. Bei der die Tränen im Augenwinkel sichtbar werden, aber ihn nicht verlassen werden. Bei der das Lächeln als Ablenkung und klitzekleinen Hoffnungsschimmer auf imaginäre, bessere Zeiten dient.

Ich bin der, der rennt.
Der vor Allem wegrennt, was ihm zu riesig erscheint. Und anstatt die Chance zu nutzen und dadurch zu wachsen, rennt er davon, wodurch er nur noch mehr schrumpft. Der, der im Kreis rennt, weil gerade Strecken, die zu seinen Zielen führen würden, für ihn viel zu ungewohnt und unangenehm sind.

Ich bin die, die isst.
Die ein nahezu unendlich großes Loch in sich trägt und sich einbildet, es sei ihr Magen, damit sie diesen mit Essen füllen kann, um dieses zerstörende Gefühl endlich loszuwerden. Die, die versucht zu ignorieren, dass sich das Loch still und leise immer weiter ausbreitet.

Ich bin der, der träumt.
Der sich sehnlichst wünscht, dass einer seiner Träume endlich die Realität ersetzt, wie ein Film, der gewechselt wird. Der, der von einem Happy End träumt und sich lauter Situationen ausmalt, anstatt endlich selbst anzufangen, sein eigenes Drehbuch zu schreiben.

Ich bin der, der schweigt.
Der reden könnte wie ein Wasserfall, doch durch von anderen erbaute Staudämme keine Chance dazu hat. Der sich nicht traut, ihn zu brechen, und lieber in Angst und Ungewissheit ertrinkt, anstatt dem Wasser freien Lauf zu lassen.

Ich bin die, die singt.
Die all ihre Emotionen in Liedtexte und Melodien steckt, die ihre Musik in Endlosschleife singt, um die Stimmen in ihrem Kopf und die ohrenbetäubende Stille um sich herum zu übertönen. Die sich in der Welt der Klänge verliert und dort neben dem Halt auch kleine Hoffnungsfunken findet, die mit jedem Ton an Helligkeit gewinnen.

Und die anderen sehen. Sie sehen mein Gesicht, meinen Körper, meine Aktivitäten. Sie sehen alle meine äußere Schicht.

Und ich frage mich, wann sie endlich beginnen, mich zu sehen.

{07.03.18 / 18:11}

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Vielleicht steckt in „Sie sehen“ mehr Wahrheit und in „Sie erkennen“ mehr Hoffnung, als ich je gedacht hätte.

2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt