3 - Hinter Schleiern

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Es war dunkel, als Djadi die Augen aufschlug. Er befand sich in einem fremden Raum, das merkte er sofort am Geruch und am Gefühl und an der Luft, an dem ungewohnten Stoff unter seinen Fingern, als er versuchte, sich aufzusetzen.

Interessant. Konzentriert ließ er die Hände weiter wandern, tastete nach der Kante des Bettes, nach den Kissen in seinem Rücken und dem groben Holz dahinter. Fremd, alles miteinander. Er bemerkte das Fenster zu seiner Seite, kaum heller als der Rest des Raumes, als die Wolken am Nachthimmel weiterzogen und zumindest ein bisschen Licht zu ihm hineinließen. Genug, damit er die schlafende Gestalt im Stuhl neben dem Bett erkennen konnte, sein Kopf auf die Lehne hinabgesunken, die Haare über die Stirn fallend.

Djadi hätte Samir auch in völliger Dunkelheit erkannt. Djadi hatte Samir in völliger Dunkelheit erkannt. Der Schlaf, aus dem er erwacht war – es war kein gewöhnlicher Schlaf gewesen, das wusste er, etwas hatte ihn wie gefangen gehalten, seine Sinne geschwächt und ihm nach und nach das Augenlicht genommen – hatte ihn dennoch nicht davon abhalten können, irgendwie wieder auf Samir zu treffen. Er schluckte, sein Mund trocken.

Da war mehr. Ein dunkler, überwältigender Sog und das Ankämpfen dagegen, ein letztes Licht, das in immer weitere Ferne rückte. Feuer? Irgendwo hatte es Feuer gegeben. Er verzog das Gesicht bei dem Versuch, sich genauer zu erinnern, aber das letzte, was ihm klar im Kopf geblieben war, war eine Wiese und ein Schloss in der Ferne, alles danach nur wirre Fetzen. Das Feuer. Dutzende glühende Punkte, die sich aus seiner Brust lösten. Allumfassendes Nichts. Ein Mädchen, das nicht schlafen konnte.

„Hm", machte er nachdenklich. Zu seiner Überraschung störte ihn sein Unwissen nicht, im Gegenteil. Da war eine seltsame Ruhe über allem, fast Zufriedenheit, wie eine längst vergessene Geschichte, von der nur das gute Ende verblieben war. Er würde bestimmt bald genug erfahren, was geschehen war. Wenn sie in Eile wären oder sich in Gefahr befänden, würde Samir nicht so ruhig an seinem Bett schlafen.

Ein vertrautes Gefühl lenkte schließlich seinen Blick zu dem kleinen Schrank neben dem Bett, wo ihm der Holzvogel erwartungsvoll entgegensah. Er war wichtig, oder? Djadi meinte sich zu erinnern, dass der Vogel wichtig war. Das kleine Stückchen Leben, das sie sich teilten, schlug warm und beständig in einem Rhythmus mit seinem Herzen und er streckte die Hand nach der hölzernen Kreatur aus, um ihr über den Kopf zu streichen.

„Hallo, kleiner Freund", wisperte er und wunderte sich darüber, wie glatt sich das Holz unter seinen Fingern anfühlte, als hätte er diese Bewegung tausendmal vollzogen und es nach und nach abgegriffen. Ein Schauer durchlief ihn, als er die Berührung seiner Hand unsichtbar auch auf der eigenen Haut spürte. Das kaum wahrnehmbare Band zwischen ihn und dem Holzvogel schien stärker zu werden, seine Sicht drohte zu verschwimmen und plötzlich sah er nicht nur den Vogel, sondern auch sich selbst aus den Augen des Vogels. Überrascht zog er die Hand zurück und schüttelte hastig den Kopf, bis die doppelte Sicht wieder zu einer wurde, aber er konnte das Versprechen eines geteilten Bewusstseins noch immer ganz am Rand seiner Wahrnehmung spüren, als müsste er es nur einladen.

„Das ist neu", murmelte er fasziniert und legte den Kopf schief. Der Vogel tat es ihm nach. „Wir sind wohl in irgendeine seltsame magische Gegend geraten, was?"

Der Vogel gab ihm keine Antwort, aber das hatte er auch nicht erwartet. Die neue Gabe, durch seine Augen sehen zu können, war ihm mehr als gut genug – bis jetzt hatte er geglaubt, dass seine Fähigkeit nie darüber hinausgehen würde, irgendwelchem Spielzeug einen eigenen Willen zu verleihen. Er schwang die Beine über die Bettkante, aufgeregt darüber, Samir von der neuen Entwicklung unterrichten zu können und keuchte auf, als er merkte, wie viel Kraft schon die leichte Bewegung ihn kostete.

Djadi schnaubte unwillig auf und warf direkt danach einen schuldbewussten Blick zu Samir hin, weil er ihn nicht aufwecken wollte. Wahrscheinlich brauchte er seinen Schlaf, wenn er es nicht einmal mehr zu seinem eigenen Bett geschafft hatte. Oder zu seiner Matte. Schlief das ganze Gefolge in Betten? Ihm wurde klar, dass es eine geraume Weile her war, seit er das letzte Mal tatsächlich in einem Bett geschlafen hatte statt irgendwo in einem Zelt, oder einfach nur auf dem Boden. Woher war das Bett gekommen?

Dornen - Das Königreich erstarrtWhere stories live. Discover now