10 - Hinfort

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Der Aufbruch war gleichzeitig zu schnell, und nicht schnell genug. Kjell hatte fast gar nichts mit der Organisation von allem zu tun, sondern sah nur jeden Tag mit großen Augen zu, wie Samir, Asifa und Yusuf sich mit nur ein paar Worten verständigen mussten, um wie von magischer Hand Verpflegung, Winterklamotten und sonstige Ressourcen zu beschaffen. Manchmal stellten sie ihm Fragen über die Geschichten zur Quelle, aber wie sich schnell herausstellte, war er nicht der Einzige, der schon von ihr gehört hatte. Fast ganz Närahavet kannte zumindest einen Teil der Legenden, die sich um die Heilquelle rankten, auch wenn sie ihrem Wahrheitsgehalt deutlich skeptischer gegenüberstanden als man es in den drei angrenzenden Ländern tat.

Und natürlich waren da die Vänerriger Soldaten, die nicht ahnen durften, dass Kjell nur ein paar Häuser weiter von ihnen übernachtete und große Reden über legendäre Heilquellen schwang, damit er Thordis' Vater beeindrucken konnte. Als Yusuf vorgeschlagen hatte, Kjells Geschichten mit denen der Gesellschaft abzugleichen, hatte Kjell sich Sorgen gemacht.

Nicht darum, dass die Morgenländer andere Seiten des Märchens hören und sich gegen das Abenteuer entscheiden würden, nein. Die Geschichten vom Starren Tal und seiner Heilquelle waren allen Vänerrigern geläufig und er war bestimmt nicht der einzige, der ihnen als Kind andächtig gelauscht und von seinem eigenen erfolgreichen Abenteuer geträumt hatte. Aber was, wenn sich Yusuf verplapperte und Oleat eins und eins zusammenzählte? Was, wenn die Vänerriger Verdacht schöpften und ihn am Haarschopf aus Loreleis wunderbar wohnlichem Zuhause zerren würden, ihn ins eisige Meer werfen und nicht zulassen, dass er sich auf die Suche begab?

Natürlich musste er sich keine Sorgen um die Morgenländer machen, das lernte er schnell. Nicht nur die Aufbruchsvorbereitungen, auch das dezente Ausfragen lag ihnen scheinbar im Blut. Wanderprinz, erinnerte Kjell sich selbstzufrieden. Aber die Sorgen ließen sich dennoch schwer abschütteln. Eine seltsame, ihm bisher unbekannte Nervosität hatte ihn ergriffen, je klarer ihr Aufbruch bevorstand. Das wir war echt. Sie würden es wirklich tun, nicht nur davon träumen.

Kjell hatte in seinem Leben viel getan, um an Thordis' Seite sein zu können, wenigstens aus der Ferne einen Blick von ihr erhaschen zu können, mehr aus sich zu machen als den einfachen Hirtenjungen, den sie liebte. Aber noch nie war er dabei tatsächlich von ihr fort gezogen, noch nie auf eine Reise mit solch unbestimmtem Ausgang gegangen.

„Bleib hier", sagte Thordis, als er sie am Abend vor dem großen Tag ein letztes Mal besuchte. Seit er ihr von dem Plan erzählt hatte, hatte er die Sorge in ihren Augen sehen können, in ihrer Stimme hören, aber sie hatte ihm nie gerade heraus gesagt, dass er eine Dummheit beging, ihn nie aufzuhalten versucht. Sie wusste, wie wichtig es ihm war, sich zu beweisen. Sie wollte ja auch, dass sie zusammen sein konnten, ohne Ausflüchte finden zu müssen. Aber sie war immer noch diejenige unter ihnen, für die es keine Möglichkeit war, in die Welt hinauszuziehen, nicht unter ihren jetzigen Umständen. „Ich will nicht, dass du gehst."

Er umfasste ihr Kinn mit den Finger, um ihr in die Augen zu sehen, bevor er erst ihre Stirn, dann ihre Nasenspitze, und dann ihre Lippen küsste. Sie lachte leise, wie sie es immer tat, aber dieses Lachen klang erstickter, feuchter.

„Kjell, ich meine es ernst", beharrte sie. „Was soll ich tun, wenn du weg bist? Du weißt, wie lange manche Abenteurer verschwunden waren, selbst wenn sie nur mit leeren Händen zurückgekehrt sind. Was, wenn du nicht mehr wieder kommst?"

„Ich komme wieder", sagte er bestimmt. „Das schwöre ich dir, Thordis."

Er küsste sie wieder, länger und tiefer, damit sie auch ganz genau wusste, wie ernst es ihm war. Kjell meinte, was er sagte. Früher, am Anfang ihrer Beziehung, da hatte Thordis immer gefragt ‚werden wir uns wiedersehen?' und Kjell hatte ja gesagt, ohne zu zögern, und sich erst danach Sorgen darum gemacht, wie das vonstatten gehen konnte. Thordis war klug und großzügig und wunderbar. Sie hatte natürlich nicht einfach nur gewartet, bis er allein einen Weg fand, sondern immer ihren Teil getan, aber sie hatte immer darauf vertraut, dass er selbst die verstecktesten Hinweise, die allerheimlichsten Nachrichten richtig deuten würde. Sie hatte ihm die Hand gereicht und gewusst, dass er sie nehmen würde.

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⏰ Last updated: Aug 26, 2022 ⏰

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Dornen - Das Königreich erstarrtWhere stories live. Discover now