4 - Auf den Frühling warten

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Es war nicht der erste Schnee, den sie in ihrem Leben gesehen hatte, aber er hatte etwas seltsam Magisches an sich, eine Eleganz, eine Schönheit, die sie nicht in Worte fassen konnte. Sie sah die dichten Schneeflocken sanft und ohne Eile dem Boden entgegen segeln und fühlte eine Ruhe, die ihr überall sonst verwehrt blieb. Vielleicht lag es auch daran, dass der Schnee die Geräusche aus dem Dorf dämpfte und ihr das Gefühl gab, völlig allein in der weißen Landschaft zu sein, nur sie und der Schnee und die Kälte. Keine Gedanken in ihrem Kopf außer dem Wetter.

„Lorelei hat mich geschickt, um dir deinen Mantel zu bringen", sagte Yusuf unwillig und Asifa sah von ihrem Ast hinab, wo er in seinen dunklen Pelzen klar gegen den Schnee hervorstach. Sie hatte ihn kommen gehört, aber es gab keinen Ort, an den sie hätte verschwinden können. Nur Närahavet und was darum herum lag. „Du solltest wenigstens so tun, als würde dich deine Gesundheit kümmern."

„Mir ist nicht kalt", gab Asifa zurück, ließ sich aber mit einem Seufzen zurück auf den Boden fallen, der Aufprall weich durch die Schneedecke. Ihr Gesicht hatte jegliches Gefühl verloren, auch wenn der Wind nicht halb so stark blies wie an vergangenen Tagen und Yusuf hob vielsagend die Augenbrauen, als er ihr den Mantel hinhielt.

„Ich habe dich kaum gesehen seit eurer Rückkehr", bemerkte er.

„Sagt der Richtige", gab sie schnaubend zurück. Vor ein paar Tagen wäre es genug gewesen, damit er sie in Ruhe ließ, nie so neugierig oder aufdringlich wie Sharif. Aber in seiner Zeit waren sieben Jahre vergangen und einen großen Teil hatte er in der Gesellschaft von Willehad, Lorelei und ihren Kindern verbracht. Er hatte gelernt, sich nicht einfach abwimmeln zu lassen.

„Du hast nicht einmal nach Nachrichten von Sharif gefragt", sagte er. „Oder von ..."

„Vielleicht habe ich Träume gehabt", unterbrach sie ihn scharf, bevor er Dinge aufbringen konnte, die sie lieber vergas. Sieben Jahre. Wenn es je etwas zu retten gegeben hatte, dann war der Zeitpunkt lange verstrichen. Ganz abgesehen davon, dass niemand außer dem Hölzernen Kapitän selbst gewagt hätte, in den Wintermonaten den Hafen anzufahren und es noch Wochen dauern würde, bis sie das Mitternachtsland hätte verlassen können. Nicht, dass sie es ernsthaft in Betracht gezogen hätte. Es war nur ein Gedanke gewesen.

„Asifa", sagte er geduldig und klang dabei so sehr wie ihr Vater, ausgerechnet, dass sie vor Überraschung den bissigen Kommentar herunterschluckte, der bereit auf ihrer Zunge gelegen hatte. Sie hatte den Rest ihrer Familie nie vermisst auf ihrer langen Reise, zu jung bei ihrem Aufbruch, um allzu viele Erinnerungen an sie zu haben, oder gar Bedauern. Ihre Brüder waren immer genug Familie gewesen und selbst sie hätten ebenso gut nur Waffenbrüder sein können, nicht Brüder im Blut. Jetzt aber fragte sie sich plötzlich, was sie wohl gerade taten. Ob ihre Eltern sich fragten, wo sie waren, oder ob sie längst damit abgeschlossen hatten, dass Asifa und die Zwillinge irgendwo in der Ferne mit dem Wanderprinzen verschwunden waren. Ob sich irgendjemand in Maraldur noch an sie erinnerte nach sieben Jahren voll wunderbarer Geschichten über den heldenhaften Wanderprinzen und dann noch einmal sieben Jahren ohne irgendwelche Geschichten.

„Es ist normal, dass du nicht einfach so darüber hinwegkommst, dass sieben Jahre vergangen sind."

Sein plötzliches Verständnis ging ihr unter die Haut.

„Woher genau willst du wissen, was daran normal ist?", schoss sie zurück. „Du hast ein völlig neues Leben hier, während ich einfach nur für ein paar Tage unterwegs war und plötzlich gemerkt habe, dass die ganze Welt ohne mich weitergemacht hat."

„Samir weiß, wie es sich anfühlt", erinnerte Yusuf sie ruhig. „Du bist nicht so allein, wie du tust, Asifa."

„Samir kümmert sich nur um Djadi", sagte sie tonlos. „Und es steht ihm zu."

Dornen - Das Königreich erstarrtWhere stories live. Discover now