Wanderprinz. Djadi fuhr den Namen stumm mit der Zunge nach, vertraut und warm in seinem Mund liegend, aber der scharfe Blick von Asifa traf ihn, bevor er ihn laut wiederholen konnte, gepaart mit den Fragen. Er erwartete, dass die Kopfschmerzen jeden Moment beginnen würden, so wie sich der Name anfühlte, aber nichts geschah. Vielleicht hatte Helvas Nadeltortur tatsächlich geholfen.
„Ich verstehe nicht", sagte Kjell verwirrt. „Ist es etwas Schlimmes? Habt ihr etwas von seinem Bruder geklaut oder so?"
„Ja", erwiderte Asifa knapp, ihre Stimme spitz, als wollte sie den Jungen dazu herausfordern, sich mit ihr deswegen anzulegen. Sie hatte ihren Blick wieder von Djadi abgewandt und er war froh darüber – etwas an ihrer Art trieb ihm den Schweiß auf die Stirn und er wäre ganz bestimmt nicht überrascht davon zu erfahren, dass sie direkt für seinen Tod verantwortlich gewesen war. Sein Gefühl bei ihr war dem von Yusuf gar nicht so unähnlich, nur dass bei Yusuf rasch die neuen Eindrücke überhandgenommen hatten, sein Pflichtbewusstsein gegenüber Samir, seine Freundschaft mit der Familie, bei denen sie untergekommen waren. Der Yusuf von früher war verkniffener und mürrischer gewesen, glaubte Djadi. Vielleicht war auch die Asifa von früher anders gewesen, aber sie hatte sich kaum in seiner Nähe blicken lassen – bis jetzt stimmten die wirren Fetzen in seinem Kopf mit dem überein, was er vor sich sah.
Anstatt dass Samir zurückkam, war es Lorelei, die als nächstes wieder die Stube betrat, ein breites, einladendes Lächeln auf dem Gesicht.
„Verzeihung, dass ich dich nicht vernünftig in Empfang genommen habe", sagte sie beschwingt. „Ich bin Lorelei, Närahavets Ärztin. Mein Mann ist der Hafenvorsteher. Freunde von unseren Freunden sind uns immer willkommen, egal wie unangekündigt sie auftauchen."
Kjell warf Asifa und Yusuf, die beide in Schweigen verfallen waren, einen skeptischen Seitenblick zu.
„Ich bin Kjell", sagte er dann. „Ich ... ich bin aus persönlichen Gründen hier. Nicht wegen der Frühlingsprozession."
„Ich habe mich schon gewundert, wegen der fehlenden Festkleidung", erwiderte Lorelei mit einem Zwinkern. „Was führt dich dann hierher?"
„Liebe", sagte Kjell fest und streckte das Kinn unterstreichend nach vorne. „Sie haben meine Geliebte fortgeschickt, damit sie sich nicht mehr mit mir treffen kann. Ihr Vater will uns trennen, weil ich nur ein einfacher Hirtenjunge bin und ihr nicht würdig – aber sie selbst würde sich für mich entscheiden, das hat sie mir geschworen. Ich bin hier, um sie zurück zu holen."
Loreleis Grinsen wurde nur breiter.
„Das hört sich doch wunderbar an!", rief sie begeistert. „Du musst mir unbedingt mehr davon erzählen – ich weiß ein, zwei Sachen darüber, wie es sich anfühlt jemanden zu lieben, der eigentlich unerreichbar sein sollte."
„Den ... Hafenvorsteher?", fragte Kjell verwirrt.
„Auch", sagte sie schulterzuckend. „Wenn du mir mit dem Tee hilfst, dann können wir uns in aller Ruhe unterhalten."
Es brauchte nicht mehr als ein verschwörerisches Zwinkern und ein kurzes, vielsagendes Kopfnicken, damit Kjell dankbar aufsprang und ihr in Richtung der Küche folgte, sodass Djadi mit Asifa und Yusuf zurückblieb. Beide Geschwister schwiegen, nicht mehr als einen kurzen Blick austauschend.
„So", sagte Djadi laut, bevor die Stille zu unerträglich wurde. „Wie habt ihr ihn gefunden?"
„Versuchter Mord", sagte Yusuf, völlig unbeeindruckt. Etwas anderes fügte er nicht hinzu, sondern schlenderte nur zu einem der Sessel am Feuer und ließ sich darauf fallen. Djadi grunzte unwillig. Er hatte die Nase gestrichen voll davon, dass ihm niemand erklärte, was Sache war. Vielleicht wollten sie ihn davor bewahren, was die Wahrheit mit seinem Kopf anstellen würde, aber er hasste die Unwissenheit. Die Ruhe, die er darüber noch kurz nach seinem Erwachen verspürt hatte, war vollkommen verflogen – vielleicht war es die Tatsache, wie offensichtlich die Lücken seiner Erinnerungen waren in allem, was er hörte und beobachtete. Selbst die kleinsten Informationen waren neu für ihn und selbstverständlich für alle anderen. Willehad war ein Prinz, der sein Erbe aufgegeben hatte, bei der glühenden Wüstensonne! Und er hatte es in einem kleinen Nebensatz erfahren, der Samir einfach nur zum Schmunzeln gebracht hatte, als ob es nur ein lustiges Wort war, das Frygga erfunden hatte!
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Dornen - Das Königreich erstarrt
FantasyDjadi kehrt zu Samir zurück - für den Preis seiner Erinnerungen. Nichts scheint zu helfen, um sie wiederherzustellen, bis die kleine Gruppe von einer sagenhaften Heilquelle in einem versteckten Tal hören, tief im Mitternachtsland. Doch es ist lange...