7 - Für die Liebe

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Kjell ließ sich nicht anmerken, wie erleichtert er darüber war, mit ein paar strengen Worten von den Morgenländern davongekommen zu sein. Er hatte wirklich unverschämtes Glück gehabt, dass ihn ein paar Fremde erwischt hatten und nicht jemand aus der Vänerriger Gesellschaft, die ihn wahrscheinlich geradewegs zurückgezerrt und in den Kerker gesperrt hätten. Im besten Fall hätten sie ihn in Falleviken an den Pranger gestellt und er wäre drei Tage lang mit Schneebällen beworfen worden, im schlimmsten Fall ...

Er schauderte, als er daran dachte. Aber das wäre es wert gewesen, wenn der Moment nicht verstrichen wäre. Kjell hätte Thordis bei der Hand gepackt und sie wären in die verschneite Wildnis geflohen, er hätte ihnen Feuer gemacht und sie in den langen Nächten gewärmt und sie wären irgendwo hingegangen, wo niemand sie kannte. Der Gedanke entlockte ihm ein Seufzen. In seinem Kopf hätte es alles perfekt sein können. Thordis. Er hatte vielleicht nur einen kurzen Blick auf sie erhaschen können, aber sie war wunderschön gewesen wie eh und je.

„Und sie liebt dich ebenfalls?", fragte die Ärztin mit einem Schmunzeln. Kjell ließ fast den Pott heißes Wasser fallen, den er in seinen Händen schon vergessen hatte, verloren in seinen Überlegungen. Richtig. Er hatte ihr die Geschichte erzählt: Dass Thordis' Vater, König von Vänerrige, von ihrer Liebe mitbekommen hatte und versucht hatte, Thordis heimlich fortzuschicken, damit sich ihre Gemüter abkühlen konnten. Wie Thordis ihm eine Nachricht hatte zukommen lassen und Kjell der Frühlingsprozession gefolgt war, immer vorsichtig darauf bedacht, nicht von Thordis' riesigem Leibwächter Oleat entdeckt zu werden. Dass er die ausgelassene Stimmung bei der Ankunft in Närahavet hatte ausnutzen wollen, um mit ihr zu entkommen, bevor sie die nächsten Tage ständig in Gesellschaft verbringen würde, irgendwo im höchsten Zimmer des Gasthauses eingesperrt mit Wächtern auf jedem Stockwerk.

Ja, er hatte seine Aktion nicht durchdacht, das verstand er schon. Während er seine Geschichte erzählte, versuchte er trotzdem so große Augen zu machen wie möglich, damit die Ärztin nicht auf die Idee kam, in ihm irgendwie Böswilligkeit zu lesen. Er hatte es für die Liebe getan. Immerhin konnte er sich jetzt ziemlich sicher sein, wo Thordis einquartiert war, und das war wiederum nicht halb so gut abgesichert wie der Palisadenpalast in der Nähe von Falleviken. Wenn er es noch einmal versuchte, bevor das Eis brach ... Er gab sich einen Ruck und konzentrierte sich lieber auf die Ärztin, die ihn noch immer so wohlwollend anlächelte.

„Natürlich", sagte er und konnte nicht verhindern, dass ein gewisser Stolz in seiner Stimme mitschwang. Nicht auf sich selbst, sondern auf Thordis. „Deswegen sind wir überhaupt erst in dieser Lage. Ich habe ihr gesagt, sie soll ihrem Vater versichern, dass ich ihr nichts bedeute, aber sie hat unsere Liebe trotzdem verteidigt und wurde zur Strafe hierher geschickt."

„Hm", summte die Ärztin vielsagend, nicht ohne Sympathie in ihrem Gesicht. „Wie habt ihr euch kennengelernt, du und deine Prinzessin?"

Es entlockte Kjell ein Lächeln, daran zu denken. Ein lauer Sommertag, von denen es wahrlich nicht viele gab, auf den weiten Blumenwiesen zwischen Istradykk und Vänerrige. Thordis hatte Geburtstag gehabt und war mit ihren Freundinnen und Zofen auf die Wiese gekommen, um dort unter der Sonne, zwischen Blumen und summenden Insekten ihr Festmahl abzuhalten. Die anderen Mädchen hatten sich gegenseitig die Haare flechten und über die besten Partien am Hofe sprechen wollen, aber Thordis hatte das gelangweilt und sie hatte sie stattdessen zu Spielen überredet: Wettrennen über die Wiesen, Versteckspielen, was ihr nur in den Sinn kam. Die Zofen hatte sie dazu nur überreden können, weil sie so weit fort von den nächsten Orten waren und eigentlich kein fremdes Auge die Ungestümtheit der Mädchen hätte beobachten sollen – eigentlich, denn Kjell war mit seinen Schafen genau auf diesen Wiesen unterwegs gewesen. Er hatte ein Mädchen aufschreien gehört und Thordis gefunden, die in einen Kaninchenbau getreten war und sich den Knöchel verstaucht hatte, ein Meer von bunten Blumen um sie ergossen, die sie im Wetteifer mit ihren Freundinnen gepflückt hatte. Kjell hatte nicht erkannt, dass sie eine Prinzessin war, nur ahnen können, dass sie von höherem Stand war, aber er hatte ihr ohne zu Zögern geholfen, sein Wasser mit ihr geteilt und die Schafe in Obhut des Hundes zurückgelassen, um sie auf dem Rückweg zu ihrer Gesellschaft stützen zu können. Thordis hatte laut und frei gelacht, aber nicht über ihn – sie hatte sich weder über seine Stimme, noch seine schmalen Schultern lustig gemacht, sondern ihm mit großen, ehrlichen Augen gedankt und gefragt, ob sie sich wiedersehen würden.

Dornen - Das Königreich erstarrtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt