9 - Verschoben

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Djadi wachte auf, weil aufgebrachte Stimmen durch das Holz im Fußboden zu ihm hochdrangen, nur bedingt durch den Fellteppich neben dem Bett gedämpft. Er rümpfte die Nase. Viel war seltsam in dieser neuen Welt, in der er sich wiedergefunden hatte, aber lautstarke Streits hatten bis jetzt nicht dazugehört. Allgemein war seine Zeit hier unglaublich harmonisch gewesen. Vielleicht zu harmonisch, so seltsam das klang. Samir hatte ihn noch nie nach vorne geschickt, wenn sie unterwegs gewesen waren – soweit er sich recht erinnerte mit seinen kläglichen Fetzen – aber so sehr mit Samthandschuhen angefasst war Djadi noch nie, und auch wenn er immer nur Samir zuliebe ein Abenteurer gewesen war, gefiel ihm das Ganze nicht.

Er setzte sich auf und schwang die Beine über den Rand des Bettes. Auf dem Nachttisch zwitscherte der Holzvogel verschlafen. Djadi wagte es nicht, ihm mit seiner Berührung seinen kleinen Funken Leben zu entziehen, die Verbindung zu kappen, die ihn überhaupt erst in dieser Welt gehalten hatte. Das, und die Verbindung war eine willkommene Abwechslung, wenn die Müdigkeit ihn selbst übermahnte und er den Vogel an seiner statt auf Erkundungsrunde schicken konnte, selbst in die eiskalte Nacht hinaus. Kurz überlegte Djadi, auch dieses Mal den Vogel vorzuschicken – was er wahrnahm, besonders an Geräuschen, war oft verzerrt und unnatürlich, ließ sich aber entziffern -, entschied sich dann aber dagegen, als er neben dem Vogel das blaue Fläschchen aufleuchten sah. Mit einem tiefen Atemzug schob er sich nach oben, erstaunlich ausgeruht, obwohl er lange nicht so viel geschlafen haben konnte wie die letzten Nächte, so dunkel wie es noch war. Das Fläschchen ließ er stehen.

Es dauerte nicht lange, bis er mehr von den aufgebrachten Worten aus dem Erdgeschoss mitbekam, nur die paar Schritte vor seine Zimmertür. Zu seiner andauernden Überraschung gehörte eine der Stimmen zu Samir. Er brüllte nicht in einem richtigen Streit, wie Djadi es erst angenommen hatte, aber er war aufgebracht, das war schwer zu überhören. Behutsam schlich er weiter bis zur Treppe, während eine Frauenstimme – Asifa – ihm genauso scharf antwortete.

Ein unbestimmtes Gefühl, dass ihn die ganze Sache nichts anging, überkam Djadi. Er ignorierte es gekonnt und nahm vorsichtig eine Stufe nach der anderen nach unten, wo er endlich erste Satzfetzen durch die Stubentür hören konnte, die eine Handbreit offen stand.

„ ... wir können uns nicht erlauben, uns in den Konflikt zwischen gleich drei Ländern einzumischen!", sagte Asifa gerade aufgebracht. „Warum zur Hölle erwähnst du das erst jetzt?"

„Es ist nicht so als stünden sie alle im Krieg", erwiderte der Junge vom Morgen pampig. Kjell? Kjell. Diejenigen, die Djadi hier zum ersten Mal traf, waren leicht im Kopf zu behalten. Keine Diskrepanz zwischen dem Selbst, das er kannte und dem, das er hätte kennen sollen.

„Vielleicht nicht im Krieg", sagte Samir. „Aber wir haben genug Erfahrung damit, was alles schief gehen kann, wenn man an Orten eingreift, von denen man nur bedingtes Wissen hat."

„Ganz genau!", stimmte Asifa ihm heftig zu. „Wir können leicht nach Vänerrige reisen und die Lage auskundschaften, aber was ist mit Informationen aus Istradykk? Was mit Kevyit Maa? Wie einfach wird es sein, alle drei Seiten anzuhören und den richtigen Schluss zu ziehen und vor allem wie lange wird es dauern?"

„Wen kümmert schon Kevyit Maa!", rief Kjell. „Ich kann euch die Geschichten aus Istradykk erzählen, weil ich dort aufgewachsen bin und die aus Vänerrige, weil ich lange genug dort gelebt habe. Nach allem, was wir wissen, haben sich die Kevyen ihren dritten Weg wirklich nur ausgedacht, um ihren Anspruch geltend zu machen. In jedem Fall ist der Weg von Vänerrige aus der Sicherste. Ins Tal reingekommen sind da genug Leute. Nur eben nicht unbedingt ... weiter."

„Als hätten wir in den Dornen nicht nur mit einem Fluch zu kämpfen gehabt, sondern auch noch zwischen den ganzen eifersüchtigen Herzögen vermitteln müssen", brummte Asifa kopfschüttelnd. Djadi war nah genug, um sie durch den Türspalt entdecken zu können, wie sie gegen die Wand lehnte und mit erhobenen Augenbrauen zu Samir blickte, der seinerseits hastig vor dem Kamin hin- und her lief. Djadi biss sich auf die Lippen bei seinem Anblick. Er trug die Haare offen und lang, glänzend im Widerschein der Glut, seine Züge schärfer durch die starken Schatten. Einmal war er jünger gewesen, erinnerte er sich. Nicht weniger gutaussehend, aber weicher dabei, nachgiebiger. Flüssig wie das kühle Wasser einer schattigen Quelle im Wald. Jetzt war er Eis, so wie alles um sie herum.

Dornen - Das Königreich erstarrtWhere stories live. Discover now