1.1 Keller, Väter und andere Schrecklichkeiten

501 52 22
                                    

»Dad? Brauchst du noch was von hier unten?«

»Was?«

»Was?«, äffte ich ihn nach. Furchtbar! Dad wollte partout nicht einsehen, dass ab einem gewissen Alter Hörgeräte einfach Pflicht waren. Vielleicht sollte es dafür ein Gesetz geben. Am besten eines, das zu den Grundrechten eines jeden Menschen zählt. Paragraf Irgendwas: Jedes Kind sollte das Recht haben, seine Eltern ab dem vierzigsten Lebensjahr mit einem Hörgerät ausstatten zu lassen - auch gegen ihren Willen.

»Ob du noch was von hier unten brauchst!«, brüllte ich so laut ich konnte zurück. Der genervte Unterton in meiner Stimme war nicht zu überhören.

»Nein ... nein, ich glaube nicht, Liebes.«

»Sicher?«

»Sicher!«

Ich stapelte die leeren Holzkisten in einer Ecke des Kellers und ging die Treppe zum Laden hinauf. Raus aus unserem furchtbaren Keller - welcher zu allem Überfluss auch noch ein absolut typisches Exemplar war, so wie man es sich vorstellte, oder vielmehr befürchtete: alt, muffig, feucht, mit jeder Menge gruseliger, ekelerregender Spinnen und den dazugehörigen unvermeidlichen Spinnennetzen an den Wänden und in den Ecken. Man war einfach dazu bestimmt, mit dem Kopf voran in eins hineinzulaufen, um sich das Netz dann gleich wieder angewidert aus dem Gesicht zu kratzen. Wobei man natürlich mehrmals nachfassen musste, um auch die feinsten Spinnenfäden zu erwischen.

Ich war ja wirklich ein naturverbundener Typ und liebte für gewöhnlich alles, was dazugehörte. Insbesondere Tiere - bis auf Spinnen natürlich. Miniausgaben von flauschigen Cockerspaniels, die sich kleine Hundebetten in die Zimmerecken bauten, waren doch viel cooler als diese Ekelviecher!

Außerdem fragte ich mich immer, ob die Leute meinem Dad das Obst und Gemüse auch noch abkaufen würden, wenn sie wüssten, woder ganze Kram gelagert wurde. Er war ja der Meinung, dass es dafür kein besseres als ein kalt-feuchtes Klima geben könnte. Doch in Anbetracht dieser furchteinflößenden Krabbler, die sich davon geradezu magisch angezogen fühlten, war ich mir da nicht so sicher.

Vermutlich war der ganze Gemüseladen sowieso nur ein Vorwand, damit Dad hier unten unbemerkt eine gefährliche Spinnenkolonie züchten konnte, um mit ihr später die Weltherrschaft an sich zu reißen. Wie bei dem Zeichentrickfilm »Pinky und der Brain«. Nur, dass mein Vater irgendwie Pinky und Brain in einer Person war. Zumindest nach meinem Dafürhalten ...

Der Laden von meinem Dad, oder »Fruity-Fred«, wie ihn alle nannten, war bis auf einen überschaubaren Getränkeladen und eine Bar das einzige Geschäft, in dem man hier in Greenwood, einem Städtchen in Mississippi, etwas käuflich erwerben konnte. Aber mehr brauchte unser kleiner, verschlafener Ort auch nicht. Vermutlich hielt uns der Laden deswegen halbwegs über Wasser.

Ich fühlte mich ziemlich wohl hier, eine Großstadtpflanze war ich ohnehin nicht. Mit überfüllten Läden, Lärm und Hektik verbreitenden Großstadtmenschen konnte ich einfach nichts anfangen. Aber die Natur, die mochte ich! Und das dorfähnliche Idyll mit den wunderschönen Wäldern, die unsere kleine Stadt umgaben, würde ich um nichts auf der Welt eintauschen wollen.

Nach gefühlten hundert Stufen war ich wieder im Laden. Dad musterte mich.

»Was ist?!«, blaffte ich ihn missgelaunt an. Er sah so aus, als wenn er jetzt doch noch etwas aus dem Keller benötigen würde.

»Ähm ... Emma, Liebes, ich seh grad, die Pink Ladys sind alle. Würdest du deinem alten Herrn noch welche raufholen?«

Oh Mann! Mein Dad war ja so was von berechenbar!

»Mach ich«, knurrte ich und drehte mich auf dem Absatz um, um wieder in das »Grabgewölbe« hinabzusteigen.

War ja klar ... Immer, wenn ich aus dem Keller kam, fiel Dad wieder irgendetwas ein, was er noch von unten brauchte. Unser Highscore an Mehrfachgängen lag derzeit bei fünf. Ich wartete jetzt schon auf den Tag, an dem Dad diese Zahl toppen und mich sechsmal - oder noch öfter - hintereinander in den Keller schicken würde. Auch, wenn er es selbst auf seine eigene Schusseligkeit zurückführte, hatte ich das Gefühl, dass er das manchmal absichtlich tat. Zumindest konnte er nicht leugnen, wenigstens ab und zu seinen Spaß daran zu haben.

Moonlit Nights 1 - GefundenWhere stories live. Discover now