1.2 Genie vs. Holzkopf

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Mathe war einfach nicht mein Ding. Sozusagen das berühmte Buch mit sieben Siegeln – zumindest für mich ... Ich hatte drei Wochen am Stück gelernt und gedacht, ich hätte es endlich kapiert. Doch nachdem auf meiner Arbeit nun ein dickes rotes D mit einem Minus so lang wie von hier bis nach Australien prangte, verließ mich jegliche Hoffnung, irgendwann hinter die Logik der Mathematik zu steigen. Emma und Logik ... Anscheinend waren das zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschlossen. So wie ein Magnet mit zwei gleichen Seiten – wobei das irgendwie noch realistischer erschien ...

Eigentlich war das mit dem Minus ja nicht üblich, doch mein überaus netter und zuvorkommender Lehrer wollte mich wohl ganz dezent darauf hinweisen, wie knapp meine ohnehin schon schlechte Note dieses Mal wieder gewesen war. Und obwohl ich ansonsten richtig gut in der Schule war, blieb Mathe einfach ein Arschloch, dessen Freund ich in diesem Leben nicht mehr werden konnte. Damit hatte ich mich im Gegensatz zu meinem Vater schon längst abgefunden.

Liam grinste jetzt noch mehr. Seine Brust bewegte sich etwas schneller auf und ab – zu schnell für eine normale Atmung, und obwohl er keinen Ton von sich gab, war ich mir sicher, dass er mich auslachte.

»Na toll ... herzlichen Dank, Dad«, murmelte ich und senkte verschämt den Blick.

»Ich bin ganz gut in Mathe. Ich könnte dir Nachhilfe geben.«

Entsetzt blickte ich Liam an, der mir munter zuzwinkerte. Wie peinlich war das denn bitte? Würde ich jemals von einer Demütigung, die sich mir bot, verschont bleiben?

»Nicht nur höflich, sondern auch noch schlau«, lobte mein Dad. »Was hältst du davon, Emma?«

»Auf gar keinen Fall ...«, nuschelte ich und merkte, wie meine Wangen heiß wurden. Eigentlich hatte ich das so leise sagen wollen, dass Liam es nicht hören konnte, doch jetzt schien er wirklich Schwierigkeiten zu haben, sein Lachen zu unterdrücken. Womöglich war es mir aber auch lauter herausgerutscht als beabsichtigt. Egal – ich würde jedenfalls unter keinen Umständen bei diesem Typen Nachhilfe nehmen. Da konnte kommen, was wollte!

»Na ja, du kannst es dir ja noch überlegen. Liam werden wir ab jetzt öfter hier sehen. Vorausgesetzt, du möchtest hier anfangen?« Dad blickte Liam mit seinem freudestrahlenden Verkaufswunderlächeln an. So nannte ich es zumindest immer, wenn er über beide Backen strahlte. Und das tat er meistens, wenn er einem Kunden besonders viel aufzuschwatzen versuchte.

»Ich würde mich freuen, Mr Forsyth«, antwortete Liam höflich und reichte meinem Vater die Hand.

»Guter Händedruck, Liam!«, freute sich Dad.

Argh! Ich wusste es! Obwohl es nicht beabsichtigt war, entfuhr mir ein tiefer Seufzer.

»Räumst du bitte die Äpfel beiseite? Und zeigst Liam dann alles?«

Ich nickte und bückte mich, um die Apfelkiste aufzuheben, doch Liam war schneller.

»Warte, ich helf dir. Die ist doch sicher schwer ...«

Und wie schwer sie war!

Liam jedoch riss die Kiste in die Höhe, als wäre sie nur mit Federn gefüllt und ich sah, wie sich unter den hochgekrempelten Hemdsärmeln die Muskeln seiner Arme spannten. Leider hatte mein Gehirn Liams Hilfsangebot noch nicht registriert und ich bückte mich weiter nach vorne, sodass wir mit den Köpfen zusammenstießen.

»Aua ...«, jammerte ich und rieb mir die Stirn. Warum musste immer mir so etwas passieren?

»Sieht wohl so aus, als hätte doch ich den Holzkopf von uns beiden ...« Liam schenkte mir ein derart atemberaubendes Lächeln, dass mein Herz sofort ins Stocken geriet, und blickte mir dabei verschmitzt in die Augen. Mein Gejammer schien ihn offensichtlich zu amüsieren.

Ich korrigierte mich. Er war nicht nur gut aussehend. Er war überaus gut aussehend. Um genau zu sein, war er der schönste Junge, den ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Seine schwarzbraunen Augen waren tiefgründig und funkelten wild, und sein dunkles, kurzes, zerzaustes Haar lud geradewegs dazu ein, darin herumzuwühlen, als wäre man Dagobert Duck in seinem Geldspeicher. Von seinem V-förmigen Oberkörper fing ich lieber gar nicht erst an ...

»Klar erkannt ...«, zischte ich, entsetzt darüber, welche merkwürdigen Gefühle er in mir auslöste.

Ich rieb mir weiter die Stirn, während Liam mir mit der Kiste folgte.

Nachdem wir die Äpfel verstaut hatten, erklärte ich ihm, wie welche Obst- und Gemüsesorten hießen. Ich hatte eigentlich vor, ihn ein bisschen zu ärgern und fragte immer wieder nach den seltensten und schwierigsten Exemplaren, doch zu meinem Ärger wusste er jedes Mal die korrekte Antwort.

»Klugscheißer ...«, brummte ich und resignierte.

Liam grinste breit. »Wir sehen uns dann am Montag in der Schule!«, verabschiedete er sich und verschwand durch die Ladentür.

Gedankenverloren starrte ich ihm hinterher.

»Toller Typ, oder?« Dad hatte sich von hinten an mich herangeschlichen, ohne dass ich es bemerkt hatte und ich zuckte erschrocken zusammen.

»Ganz okay, glaub ich ...«, antwortete ich so neutral wie möglich. Ich musste ihm ja nicht gleich auf die Nase binden, dass ich ihn mindestens genauso toll fand wie er.

Mein Dad musterte mich argwöhnisch. Ihm schien nicht entgangen zu sein, dass mir Liams gutes Aussehen aufgefallen war, er sagte aber nichts dazu.

Ich in Verbindung mit Jungs? Glücklicherweise keins von Dads Lieblingsthemen.


Moonlit Nights 1 - GefundenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt