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Dimitri eilte zu ihm und legte zwei Finger an seine Pulsader. Er sah zu uns auf und schüttelte den Kopf. Ich starrte entsetzt auf den leblosen Körper meines schrecklichen Pflegevaters. Ja ich habe ihn gehasst, doch das wollte ich gewiss nicht!

Leo nahm mich in den Arm und drehte meinen Kopf weg, da er wusste, dass ich den Blick nicht abwenden konnte, auch wenn es so schrecklich war. Er hatte brutale Schnittwunden am Hals und Einstiche am Bauch. Er war voll mit Blut verschmiert und mit Erde. Jemand hatte immer und immer wieder auf ihn eingestochen, doch so, dass er nicht sofort sterben würde. Es war grausam! „Bringen Sie sie rein, ich hole Hilfe“ sagte Dimitri und Leo zog mich in Richtung Tür. Ich warf noch einen letzten Blick auf den Mann den ich seit meinem 6. Lebensjahr kannte, dann ging die Tür zu und versperrte mir die Sicht. Im Zimmer setzte mich Leo aufs Bett und hockte sich vor mich. „Lissa...es tut mir leid“ flüsterte er und nahm mein Gesicht in seine Hände. Ich schluckte. Weinen musste ich nicht. „Das ist nicht deine Schuld“ sagte ich leise und betrachtete ihn. Er sah älter aus. Wahrscheinlich hatten ihn die ganzen Strigoi Vorfälle und die Sache mit dem Band älter werden lassen. Neben ihm kam ich mir immer ein bisschen wie ein kleines Mädchen vor. Ich wusste, dass das Quatsch war, doch dagegen konnte ich nichts tun. „Wer war das?“ fragte ich ihn, doch ich erwartete keine Antwort. Er konnte es nicht wissen. „Jemand der sehr wütend auf ihn war!“ Das könnte auch auf mich zutreffen dachte ich und schlang die Arme um meinen Körper. „Schlechtes Karma“ sagte ich und er lächelte schwach. „Das sollte ich wohl besser nie wieder sagen!“ Ich lächelte und schlang die Arme um seinen Hals.

Nach ner Weile gingen wir zurück zur Schule, wo ich meine weinende alte Familie sah. Ich nahm Kate in den Arm und sah Harry mitfühlend an. Kate wollte mich nicht mehr loslassen, weshalb ich sie irgendwann auf den Arm nahm. „Es tut mir leid“ flüsterte ich in ihre Haare und gab ihr einen Kuss. Viele Wächter hatten sich versammelt und diskutierten. Dieser Vorfall war gewiss erschreckend, da er zudem auch noch ein Dashkov war. Keiner konnte erklären wer es gewesen sein sollte. Meine Mutter sah mich vorwurfsvoll an. „Ich habe ein Alibi!“ schleuderte ich ihr entgegen und sie sah weinend weg. Ich ließ Kate schließlich runter und umarmte Harry. Egal wie schlimm die eigenen Eltern sind, man liebt sie trotzdem!

Ich kehrte spät abends ins Wohnheim zurück. Lexy und ihre Wächterin hatten mich abgeholt, da Leo selbst in sein Wohnheim musste und Dimitri in der Schule bleiben musste. Ich legte mich etwas benommen ins Bett. Schlafen konnte ich nicht, und ich hoffte sehr Leo damit nicht auch seinen Schlaf zu rauben.

Leo´s Sicht:

Mitten in der Nacht stand ich auf. Lissa konnte nicht einschlafen, weshalb ich ebenfalls ein wenig wachgehalten wurde. Ich wusste sie versuchte dies zu vermeiden, doch das ging nicht. Ich ging ins Badezimmer und klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Eigentlich hätte ich es wissen müssen, doch es kam so überraschend, dass ich wie immer keine Zeit hatte zu regieren. Ich sah auf und wurde gegen eine Wand des Badezimmers gedrückt. Es war der selbe Strigoi wie damals. Doch diesmal sah ich ihn deutlicher. Das Licht des Badezimmers war heller als das in meinem Zimmer. Eine Kapuze verdeckte zwar sein Gesicht, aber ich sah sonst alles von ihm. „Guten Abend“ begrüßte er mich mit seiner kalten Stimme die mir, wie damals auch schon, eine Gänsehaut versetzte. „Sie schon wieder“ sagte ich und er lächelte. „Sie haben meinen Auftrag nicht ausgeführt“ sagte er und ich lachte „Haben Sie wirklich gedacht, dass ich es mache?“ Er legte den Kopf schief. „Nein, das habe ich nicht. Sie sind ein guter Mann, Leo!“ Das verschlug mir die Sprache. Darauf hatte ich keine passende Antwort, da es einfach so absurd war. Ich sah auf seine Hände an meinem T-Shirt und bemerkte getrocknetes Blut daran kleben. Ich sog scharf die Luft ein. Er bemerkte es und sah sie sich ebenfalls an. „Ah, das..“ Er lächelte und zeigte seine Reißzähne. „Ich konnte diesen Dashkov sowieso noch nie leiden!“ Ich erstarrte. Ganz langsam verstand ich. „Sie...Sie haben...“ ich konnte es nicht aussprechen. „Victor war ein riesen Mistkerl, aber das wissen Sie ja“ In seiner Stimme erklang echter Abscheu und Hass und mir lief es wieder kalt den Rücken herunter. „Sie kannten ihn?“ fragte ich und er nickte „Wir sind uns mal vor langer Zeit begegnet...Damals war er nicht anders. Er hat den Tod mehr als verdient, glauben Sie mir!“ Ich schluckte und sah an ihm vorbei in den Spiegel. Hinten an seiner Kleidung klebte Erde und noch mehr Blut. „Warum haben Sie ihn erstochen und nicht...“ Ich brach ab und überließ ihm das Sprechen. „Warum erstochen und nicht ausgetrunken? Oder Kehle aufgerissen? Das kann ich Ihnen sagen, Leo. Er sollte leiden! Einmal in seinem Leben echten Schmerz spüren. Ihn auszusaugen wäre zu gütig gewesen...“ Er machte eine Pause. Es war komisch. Er sprach ganz normal mit mir über die Ermordung von Lissas Pflegevater. Und ich machte mit! Warum tat ich das? „Hätte ich ihn nicht getötet hätte es vermutlich eine andere Person getan, nicht wahr?“ Ich brauchte eine Minute um hinter seine Worte zu kommen. „Lissa würde niemals...“ „Ihren Pflegevater töten? Sind Sie sich da so sicher?“ Ich funkelte ihn an. „Ja bin ich! Sie können das nicht beurteilen!“ „Wieso?“ fragte er mich kalt und ich starrte ihn wieder verblüfft an. „Weil Sie sie nicht kennen! Warum kommen Sie eigentlich ständig zu mir? Was wollen Sie von mir?“ Er lächelte. „Oh, und ob ich sie kenne, Leo, ich kenne Vasilisa. Und um Ihre Frage zu beantworten, Sie stehen ihr am nächsten, nun ja, Belikov auch, aber der teilt kein Band mit ihr..“ Ich verkrampfte mich. Woher wusste er das? „Ich teile was?“ Ich beschloss mich einfach ahnungslos zu stellen. „Ach kommen Sie, Leo“ bat er mich und ließ mich ein wenig lockerer. „Sie teilen ein Band mit ihr, das ist offensichtlich!“ Ich schüttelte den Kopf. „Man kann es erkennen wenn man weiß wonach man suchen muss“ erklärte er und legte den Kopf wieder schief. „Warum sind Sie mitten in der Nacht hier im Badezimmer?“ „Das selbe könnte ich Sie auch fragen“ entgegnete ich und er lächelte wieder. „Sie gefallen mir immer besser, Leo. Ich war zufällig hier. Wahrscheinlich kann sie nicht schlafen und Sie dadurch auch nicht, oder?“ Ich sagte nichts. „Eine Frage: Wer war Ihre Angreiferin auf dem Steinbruch?“ Ich starrte ihn wieder an. „Sie wollen mir sagen Sie wissen es nicht? Sie haben sie doch geschickt, weil ich Ihnen nicht Lissa gegeben habe!“ Er lachte auf. Es war ein kaltes Lachen. „Ich soll sie geschickt haben? Hätte ich Sie bestrafen wollen, dann hätte ich es persönlich getan, und das auch ganz sicher nicht in Vasilisas Gegenwart!“ Ich runzelte die Stirn. „Warum?“ Die Frage war mir so raus gerutscht, ich hatte sie nicht einmal beabsichtigt. Er lächelte „Sie denken, dass ich sie töten will, nicht wahr? Aber überlegen Sie mal, Leo...Hätte ich das tun wollen, dann wäre ich jetzt bei ihr im Zimmer und nicht bei Ihnen!“ Da hatte er leider Recht. So langsam glaubte ich wirklich nicht mehr, dass er sie töten will. Aber das machte mich nicht grade schlauer. „Was wollen Sie dann von ihr?“ fragte ich und er lächelte wieder. „Das...werden Sie noch sehen, Leo. Aber ich bin mir sicher, dass Sie es auch so herausfinden können. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Nacht!“ Ehe ich etwas erwidern konnte, war er weg. Ich sah auf mein T-Shirt hinab. Ein wenig von dem Blut an seinen Händen war zurückgeblieben. Ich ging zurück ins Zimmer und zog mir ein neues an, dann legte ich mich hin. Was wollte er von Lissa?

Kuss der PrinzessinWhere stories live. Discover now