Kapitel 33.

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Wer hat geschrien? Ich möchte meine Augen aufmachen, aber ich traue mich nicht, aus Angst, der Bär könnte meine Augen treffen. Ich stelle mir vor, wie seine Tatze auf mich zufliegt. Wie sie in mein Gesicht schlägt. Ich stelle mir sogar die Schmerzen vor. Ein Schwall schlechter Luft schwebt über mich hinweg.

Wo bleibt der Schlag nur? Er hat doch schon ausgeholt! Ich kann nicht anders – ich muss ein Auge öffnen! Vorsichtig öffne ich das Rechte. Ich sehe, dass seine Tatze immer noch angehoben ist.

„Laura!“, schreit jemand. „Nein!“ Wer war das? Ich öffne beide Augen. Doch alles was ich sehe, ist das Gesicht des Bären.

Jetzt bewegt er die Tatze wieder. Auf mich zu. Schnell kneife ich die Augen wieder zusammen. Erneut sehe ich die Tatze vor meinem inneren Auge, wie sie mich trifft. Doch alles was ich spüre, ist eine leichte Erschütterung auf dem Boden.

Er grunzt. „Laura!“, schreit wieder jemand. Das Tier grunzt nochmal. Lauter. Und dann verschwindet auf einmal der warme Atem in meinem Gesicht. Am ganzen Körper spüre ich, wie der Boden minimal vibriert, als der Bär sich bewegt. „Renn weg!“ Langsam und vorsichtig öffne ich meine Augen wieder. Der Bär hat sich von mir abgewandt. Er steht etwa einen Meter entfernt. So schnell es geht rappele ich mich auf. Ich stolpere über meine eigenen Füße, als ich wegrennen will. Ich möchte wissen, wer mich gerufen hat. Und dann sehe ich sie: Heather. Was macht sie hier? Ist sie mir gefolgt?

Aber jetzt ist nicht die richtige Zeit, sich solche Fragen zu stellen. Erschrocken bleibe ich wieder stehen und schreie: „Heather!“ Aber sie beachtet mich nicht und konzentriert sich ganz auf den Bären. Sie bleibt gelassen stehen. Als würde er sie nicht bedrohen. Fast, als würde sie darauf warten, dass er sie zerfleischt. Sie macht keinerlei Anstalten, sich vom Fleck zu bewegen. Noch einmal schreit sie: „Lauf weg!“

Jetzt wird der Bär wieder aufmerksam auf mich. Unschlüssig bleibt er zwischen mir und Heather stehen. Sie wirft mir einen letzten warnenden Blick zu. Dann sagt sie leise: „Ich komme allein zurecht!“ Ich glaube ihr. Und trotzdem drehe ich mich nur widerwillig um. Während ich renne, werfe ich nochmal einen Blick über die Schulter. Heather hat die Aufmerksamkeit des Bären wieder auf sich ziehen können. Sie lockt ihn an sich heran! Und dann verdeckt ein Baum plötzlich meine Sicht.

WoodkissWhere stories live. Discover now