Kapitel 55.

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Wenn ich keinen Niesanfall hätte, würde ich vielleicht schreien. Aber jetzt hat die Person, die wahrscheinlich Daniel ist und mich festhält, Mühe, mich überhaupt festzuhalten, weil ich mich ständig krümmen muss, um zu niesen. Das habe ich normalerweise nie. Irgendwo in meinem Gehirn spukt ein Begriff herum, den ich irgendwann schon einmal gehört habe: Licht-Nies-Reflex.

Ich bemerke, dass Daniel irgendetwas neben mir knurrt. Doch ich kann ihn kaum verstehen. Erst als ich endlich aufhöre, zu niesen, klären sich seine Worte: „Du!“, knurrt er anschuldigend. „Wie lang stehst du da schon?“ Er packt mein Handgelenk (glücklicherweise von der gesunden Hand) noch fester, sodass ich aufschreie. „Was hast du gehört?“

Eigentlich sollte ich Angst vor ihm haben. Aber ich habe keine. Sein Verhalten ist einfach nur lächerlich.

„Sag schon!“, knurrt er bedrohlich, doch das bekannte Gefühl der Angst will sich einfach nicht einstellen.

Ich mache eine schnelle Bewegung und reiße mich von ihm los. „Es soll also niemand erfahren, was ihr geredet habt, nicht?“ Sein Blick gleitet abschätzend an mir vorbei. „Was hat er denn gesagt?“ Ich tue einfach so, als würde ich wissen, mit wem er geredet hat, nur um ihm ein bisschen Angst einzujagen. Ich hoffe nur, dass es ein Mann war...

Doch ich scheine getroffen zu haben. Seine Augen verengen sich zu Schlitzen und seine Hände zucken, als würde er mich gleich angreifen wollen oder so etwas. „Wohin willst du denn? Was hältst du nicht aus? Ich dachte, du wärst ein starker Junge, der keine Hilfe braucht?“ Ich lache und irgendwie befreit es mich, ihn einmal so fertig zu machen. Und ich habe nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Schließlich hat er Lügen über mich verbreitet, die jetzt die ganze Nation kennt. Da dürfte ihm diese kleine Rache jetzt wohl nicht schaden.

Seine Hände ballen sich zu Fäusten, doch er rührt sich nicht von der Stelle. Ich sehe etwas silbern glitzerndes in seiner Hand. Das Handy! „Und überhaupt. Woher hast du das Handy?“ Ich trete einen Schritt zurück, um ein wenig Distanz zwischen uns zu bringen.

Er entspannt sich ein wenig und es scheint, als würde der alte Daniel wieder zurück kommen: „Das?“ Er zieht die Augenbrauen hoch. „Das ist kein Handy.“ Er lacht wieder sein widerliches Lachen und lässt mich als schwach dastehen, weil ich es nicht wusste. Doch ich lasse mich nicht unterkriegen! „Das ist ein Funkgerät.“

Also doch.

Daniel kommt ebenfalls einen Schritt näher. Aber diesmal weiche ich nicht aus. Ich möchte nicht als schwach dastehen. Ich öffne den Mund, um irgendetwas zu sagen, doch eine andere Stimme unterbricht mich: „Laura? Daniel?“ Das ist Jayden. Das erkenne ich sofort.

Ich werfe einen Blick nach hinten und sehe, wie Jayden und Heather hinter den Bäumen auftauchen. „Was tut ihr?“, fragt Heather skeptisch.

- - -

Einen gefühlten halben Tag später haben wir endlich genügend Essen zusammengesucht, um daraus etwas (halbwegs) Anständiges zu kochen. Avery hat in der Zeit, in der wir gesammelt haben, eine Feuerstelle hergerichtet und Wasser gekocht. Sie wirft Pilze hinein, welche sie vorher zu kleinen Stücken geschnitten hat und fügt irgendwelche Kräuter hinzu, die ich noch nie gesehen habe.

Mit einem Löffel, den sie auf dem Boot gefunden hat, schöpft sie allen eine kleine Portion auf Teller, die scheinen, als wären sie bereits fünfzig Jahre alt und an einigen Stellen zerbrochen oder die Farbe abgeblättert ist. Alles andere als appetitlich. Aber egal, wie ekelhaft die Teller sind, das darauf übertrifft alles. Widerlich braune, matschige Pilze schwimmen aufgeweicht in einer Suppe aus Wasser, das aussieht, als würden noch kleine Erdbrocken aus dem Fluss darin herumschwimmen. Die Kräuter haben sich halb aufgelöst und hängen jetzt lätschig auf dem Tellerrand.

WoodkissWhere stories live. Discover now