Kapitel 83.

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Sonnenstrahlen kitzeln meine Haut und ich richte mich vorsichtig in meiner Hängematte auf. Durch kleine Fenster in dem Schuppen scheint die Sonne und blendet mich für einen Augenblick. Ich muss sofort wieder an meinen letzten Gedanken vor dem Einschlafen denken. Nämlich, dass heute der Tag ist, an dem ich meine Familie wiedersehen werde. Und trotzdem beschleicht mich das Gefühl, dass wieder irgendetwas dazwischen kommen wird...

Dann klettere ich aus der Matte. Die anderen wachen langsam auf und nehmen ihre Hängematten von den Haken. Ich mache es genauso und als wir alle fertig sind, rutschen wir den Holzspanberg hinunter. Fast wäre ich auf den Boden gestürzt. Aber ich kann mich im letzten Moment noch fangen. Logan öffnet die Türe des Schuppens und wir treten hinaus. Die Sonne scheint auf den Boden, der mit Kies bedeckt ist und lässt das Regenwasser der Nacht verdampfen. Überall steigen Dampfschwaden vom Boden auf.

Wir gehen durch den Nebel und finden schnell zu dem Wohnhaus von Maria und Thomas. Ich sehe, wie manche von Jacksons Männern aus den Autos steigen, in denen sie die Nacht verbracht haben. Sie betreten mit uns das Haus. Wir versammeln uns alle in der Küche zum Essen und ich sehe den reich gedeckten Tisch. Da sind Pancakes, frische Eier, selbstgebackenes Brot und Cornflakes. Ich frage mich, wann Maria aufgestanden ist, um das hier herzurichten. Es muss ewig gedauert haben.

Nachdem wir alle satt sind, helfen wir Maria noch beim Abwaschen des Geschirrs und die Männer besprechen ihren Plan, wann wir nach Timmins losfahren und alles darum herum.

„Am Besten ist es, wenn die Jugendlichen in Timmins ein Flugzeug nach New York nehmen“, schlägt jemand vor. Wir werden uns von Jacksons Team schon in Timmins verabschieden müssen, weil die meisten von ihnen dort wohnen.

„Und von welchem Geld sollen sie es bezahlen?“

Für einen Moment ist es still. Jeder überlegt. „Wir könnten auch mit dem Bus zurückfahren, den wir von dem Fernsehsender bekommen haben“, sagt Logan. Oh nein!, denke ich nur. Dann würde alles länger dauern. Und außerdem wäre die Chance, dass Daniel oder Clint uns wieder aufhalten viel zu groß.

Jayden spricht genau das aus, was ich gedacht habe. Als könnte er Gedanken lesen! Wieder schweigen wir alle und denken nach. Die einzige Möglichkeit wäre, dass uns jemand das Geld ausleiht. Aber dafür ist die Summe viel zu groß.

Und ich kann meinen Ohren kaum trauen, als Jackson plötzlich sagt: „Ich könnte euch das Geld ausleihen, das ihr für einen Flug braucht. Meine Firma hat genug, um es zu bezahlen...“ Er lässt seinen Blick über unsere überraschten Gesichter schweifen. Dann fährt er in seinem kommandierenden Ton fort: „Aber wehe, ich bekomme das Geld nicht zurück!“

„Darum müssen sie sich keine Sorgen machen!“, lacht Carter und schaut Avery glücklich an. Diese zwingt sich kurz zu einem Lächeln, das aber schnell wieder aus ihrem Gesicht weicht. Sie senkt ihren Blick zu Boden. Ich erinnere mich daran, wie sie gestern schluchzend aus dem Raum mit dem Telefon gerannt ist. Ich frage mich immer noch, was passiert ist. Ich weiß, dass es mit ihrer Mutter zu tun hat, aber ich habe aus welchem Grund auch immer Angst davor, sie zu fragen.

Thomas informiert sich über einen Flug von Timmins nach New York und glücklicherweise gibt es sogar einen. Das Flugzeug soll um drei Uhr nachmittags starten.

Ich höre nicht länger zu und irgendwann schleiche ich mich aus dem Raum, um zu telefonieren. Ich erreiche nur Lisa, weil Mum und Dad arbeiten, aber ich erzähle ihr alles. Ich halte es kurz, weil ich nicht viel Zeit habe. Aber sie verspricht mir, dass sie mich später beim Flughafen abholen werden. Wenn wir es überhaupt nach New York schaffen!, schießt es mir durch den Kopf. Ich habe immer noch das ungute Gefühl, dass etwas dazwischen kommen wird.

Nachdem wir uns alle fertig gemacht haben, verabschieden wir uns von Maria, die hier bleibt. Sie hat uns noch ein paar ihrer alten Klamotten gegeben, damit wir nicht wie in Lumpen gekleidet in ein Flugzeug steigen müssen. Ich danke ihr für alles, was sie für uns getan hat. Ohne sie und ihre Gastfreundlichkeit würden wir vielleicht noch halb verhungert in den Wäldern herumirren.

Danach steigen wir in die verschiedenen Autos. Es ist nett, dass Thomas' Freunde sich ohne zu zögern bereit erklärt haben, uns zu fahren. Ich sehe die Bäume an dem Fenster vorbeiziehen und mein Gehirn malt sich alles Mögliche aus, was passieren könnte. Ich werde das Gefühl nicht los, dass heute irgendetwas Unerwartetes passiert. Und dabei muss ich immer an einen Zusammenhang mit Daniel denken. Egal, an was ich denke, jedes Mal endet es mit Daniel. Immer wieder versuche ich, die Gedanken an ihn wegzuschieben, aber sie tauchen immer wieder auf. Mich quälen die Fragen, was er gegen mich hat und wieso er mir das alles angetan hat. Wenn er es wirklich nur auf gute Videos abgesehen hat, hätte er dasselbe auch mit anderen Leuten tun können.

Bei einer Fahrt, die etwa zwei Stunden dauert, hat man genug Zeit, um nachzudenken. Ich unterhalte mich so viel wie möglich mit Jayden, Thomas und Heather. Kim beteiligt sich kein einziges Mal am Gespräch. Entweder sie schläft oder sie hat keine Lust, mit uns zu sprechen. Ich wünschte, ich könnte auch schlafen. Aber dafür bin ich zu aufgeregt.

- - -

Und dann steigen wir aus. Hastig greife ich nach Jaydens Hand und er drückt sie sanft. Das beruhigt mich ein bisschen, weil ich weiß, dass er immer an meiner Seiten stehen wird. Wir stehen auf demselben Parkplatz, auf dem wir auch die Busse abgestellt haben. Sofort huscht mein Blick über den kleinen Parkplatz. Der Flughafen in Timmins ist nicht besonders groß. Und dann sehe ich sie: In der Ecke stehen zwei mintgrüne Busse. Thomas holt meine Tasche mit den Hängematten darin aus dem Kofferraums eines Autos und drückt sie mir in die Hand. Ich renne fast zu dem Bus hin, der den Mädchen gehört hat. Ich rüttele an dem Türgriff und erst da fällt es mir ein: Wer hat überhaupt den Autoschlüssel?

WoodkissWhere stories live. Discover now