Kapitel 5

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Timo kam sofort auf mich zu, als er mich erblickte.

Sah er schon immer so attraktiv aus? Seit wann hatte sich sein jungenhafter Körper in den eines Mannes verwandelt? Mir war nie zuvor aufgefallen, dass seine Arme nicht mehr so dünn wie Streichhölzer waren, sondern durch Muskelmasse definiert wurden. Auch seine Bartstoppeln fielen mir das erste Mal auf. Mir war noch nie in den Sinn gekommen, dass er schon rasieren musste.

Das erste Mal in meinem Leben sah ich ihn als Mann und nicht mehr als der Schuljunge, der er für mich immer gewesen war.

"Amy, ist alles in Ordnung bei dir?", erkundigte er sich und kam mir dabei näher, als mir gut tat.

"Hmm, alles gut."
"Was war denn gestern los? Habe ich etwas falsch gemacht?"

Er war deutlich aufgebracht.

"Du hast nichts falsch gemacht", ließ ich ihn sofort wissen.

Es tat mir unglaublich leid, dass er die Schuld bei sich suchte. Dabei hatte ich doch diesen unverzeihlichen Fehler gemacht.

"Was ist denn dann? Du siehst wirklich nicht gut aus!"

Er war mir viel zu nah. Es kostete mich all meine Kraft, ihm nicht noch näher zu kommen. Die Wirkung dieses Pfeils war verdammt stark. Doch warum schien es Timo nicht so zugehen? Abgesehen davon, dass er äußerst besorgt war, wirkte er erstaunlich normal.

"Ich kann da wirklich nicht drüber reden, aber das ist auch nicht wichtig! Das sollte sich noch heute erledigt haben", gab ich mich zuversichtlich.

Timo tätschelte meine Schulter. Es löste bei mir sofort das Bedürfnis aus noch mehr Körperkontakt herzustellen.

"Okay, aber bitte vergiss nicht, dass ich jeder Zeit für dich da bin."

Ich nickte dankbar.

"Ich weiß."

Er war einfach der Beste!

Plötzlich breitete sich in mir Wut aus. Wieso war es mir als Amora nicht vergönnt auch verliebt zu sein? Die ganze Welt konnte ich dazu bringen, sich zu verlieben, doch bei mir war es strengstens verboten. Ich hasste es! Insbesondere jetzt, wo ich wusste, wie sich Liebe anfühlte. Ich wollte darauf nicht verzichten!

Plötzlich sah ich die Neue, von der ich mittlerweile wusste, dass sie Helena hieß. Yva hatte es in Erfahrung gebracht. Helena war meine letzte Hoffnung. Wenn der Pfeil bei ihr Wirkung zeigte, konnte ich vielleicht doch noch glimpflich aus der Angelegenheit kommen.

Ich konzentrierte mich auf meine Kräfte. Mein gesamter Fokus lag nun auf Helena und der Mission ihr wahre Liebe zu schenken.

Ich hatte meine Hand so gedreht, sodass die Handfläche nach oben zeigte.

Doch etwas war anders. Da war weder diese Wärme noch das Kribbeln in meinem Körper.

Ich starrte auf meine Hand, doch es geschah nichts.

Und wieder stieg Panik in mir auf. Das dürfte jetzt nicht wahr sein!

Ich war offensichtlich nicht mehr in der Lage einen Pfeil zu produzieren.

Ich hatte meine Gabe verloren.

Schlimmer konnte es nun wirklich nicht mehr kommen. Mir war nicht einmal bewusst gewesen, dass ich diese Gabe verlieren konnte.

Ich fiel auf die Knie und vergrub mein Gesicht in den Händen. Ich war eine Schande für meine Familie. Für alle Amora auf dieser Welt. Ich hatte versagt und würde es nie wieder gut machen können.

"Amy", rief Timo erschrocken und beugte sich sofort zu mir nach unten. "Was hast du?"

Er legte seinen Arm um mich herum. Ich ertrug es nicht.

So sehr ich es auch wollte, ich dürfte ihm auf gar keinen Fall näher kommen.
Also stieß ich ihn mit aller Wucht von mir. Es traf ihn so unerwartet, sodass er Probleme hatte das Gleichgewicht zu behalten.

"Lass mich!", keifte ich ihn in meiner Verzweiflung fast schon hysterisch an. "Lass mich in Ruhe!"

Perplex sah er mich und verstand die Welt nicht mehr.

Ich rannte los, ohne überhaupt zu wissen, wohin ich laufen sollte. Je weiter weg ich von ihm war, desto besser. Vermutlich sollte ich ihn nie wiedersehen. Doch wie sollte ich das aushalten? Es gab keine Sekunde mehr, in der ich nicht an ihn dachte.

Noch nie zuvor hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, wie es wohl wäre einen Freund zu haben. Und auf einmal gingen meine Phantasien viel weiter. Ich fragte mich, wie es wäre, wenn er mich küsste. Ich malte mir aus, wie wir Dates hatten, heirateten und Kinder hatten. Das war für mich nie eine Option gewesen, da ich immer gewusst hatte, dass es bei den Amora keine klassischen familiären Strukturen gab. Doch nun wollte ich nichts sehnlicher.

Ich wollte bis zum Ende meines Leben an seiner Seite sein.

Ich wollte das ganze Programm. Eine Hochzeit mit weißen Kleid, ein Haus mit einem spießigen Garten und Kindern, denen ich Gute-Nacht-Geschichten vorlesen konnte.

Vor allem wollte ich, dass meine Liebe erwidert wurde.

Sollte meine Oma und meine Mutter jemals davon erfahren, würden sie es dem Rat mitteilen müssen. Ich dachte daran, wie sie mir gestern erzählt hatten, dass man eine Amora sogar umgebracht hatte. Vielleicht war das sogar gar keine schlechte Idee. Denn im Moment hatte ich das Gefühl, dass gar kein Leben immerhin besser war als ein Leben ohne Timo an meiner Seite.

Ich hatte Liebe immer als etwas unglaublich Schönes wahrgenommen, doch nun realisierte ich, wie abhängig es auch machen konnte. 

AmoraTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon